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Verrückt wie wir alle

 
Wie man aus dem Besten der Vergangenheit etwas Neues macht: Mondo Fumatore greifen in die digitale Wunderkiste und zaubern ein aufregendes Elektrorock-Album hervor.

Mondo Fumatore The Hand

Im Jahr 2003 erschien das letzte Album des Berliner Duos Mondo Fumatore. Ihr Elektronikrock klang damals ungewöhnlich für Berliner Verhältnisse. Er entstand zu einer Zeit, als viele Bands begannen, Datapop mit lieblichen Refrains zu spielen. Indietronic nannte sich diese Musik, eine Mischung aus Indiegitarren und Elektronik.

Gwendolin Tägert und Marc Saura sind Mondo Fumatore, sie machen etwas ganz Eigenes. Ihre Lieder sind vom Galeriepop Lali Punas ebenso weit entfernt wie vom Kreuzberger Elektro-Trash Stereo Totals. Jedes ihrer Alben gleicht einer neuen Reise durch die Welt der Popmusik, immer wieder versuchen sie, aus dem Besten der Vergangenheit etwas Neues zu machen. Ihre Musik verbindet Gegensätze, sie glitzert und klingt nach Heimstudio. Sie ist beseelt von Melodien, frönt aber auch der Lust, diese wieder zu zerstören. Mondo Fumatore sind eine Popband: „Wir sind weit davon entfernt, vertrackt klingen zu wollen oder experimentell zu sein“, haben sie einmal gesagt.

Auch auf ihrem neuen Album The Hand pflegen Mondo Fumatore einen gelassenen Umgang mit ihren Vorbildern. Selbstgewiss integrieren sie den amerikanischen Indierock der frühen Neunziger – Pavement, Yo La Tengo oder die Lemonheads – in ihren musikalischen Kosmos. J Mascis von Dinosaur Jr. spielte ihnen ein herrlich selbstgenügsames Gitarrensolo ein – in nächster Nähe zu Kratz-Geräuschen, pumpenden Rhythmen, Händeklatschen, Geklimper und Chören, die „Yeah! Yeah! Yeah!“ singen. Überall ist auf diesem Album klanglich etwas los, man kommt ein bisschen aus der Puste vor lauter Staunen, Lauschen und Sortieren. Das war auf den guten Alben von Beck und den Beastie Boys auch so.

Thunder ist eines der besten Stücke auf The Hand, hier klingen Mondo Fumatore minimalistisch. Über einen Rhythmus und ein einfaches Gitarrenmuster singen sie „Call Me Thunder“, eine Zeile aus Ringo Starrs Drumming Is My Madness. In den meisten anderen Liedern rauscht und scheppert es aus allen Ecken, so mögen die beiden es am liebsten. Hier noch eine jaulende Gitarre, ein versprengtes Echo, dort noch ein Rhythmus aus der digitalen Wunderkiste, ein Chor. Ein Füllhorn voller Ideen ergießt sich aus den Lautsprechern. Ideen, die gleichberechtigt nebeneinander erklingen.

The Hand ist auch der Titel eines Films von Oliver Stone. Ein von Michael Caine gespielter Comic-Zeichner verliert bei einem Autounfall seine rechte Hand, nach einiger Zeit kehrt The Hand in der Fantasie des Zeichners zurück. Auf das Drängen seiner Frau, sich in psychologische Behandlung zu begeben, entgegnet er: „Irgendwie sind wir doch alle etwas verrückt, glaub mir.“ Für Mondo Fumatores The Hand gilt das auf jeden Fall. Es ist etwas verrückt, es ist wirr und verdreht, alles andere als ausbalanciert. Und alles andere als langweilig.

„The Hand“ von Mondo Fumatore ist auf CD bei Rewika erschienen.

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