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Mutloser Retter

 
Der Saxofonist James Carter galt Mitte der Neunziger als Hoffnung des schwarzen Jazz. Mit „Present Tense“ möchte er nun die Widerstandskraft dieser Musik beleben – und schwimmt doch nur mit dem Strom.

James Carter Present Tense

Dass er im Jahr 2004 mit dem Dr. Alaine Locke Award für seine herausragenden Leistungen im Dienste der afroamerikanischen Gemeinschaft ausgezeichnet wurde, erfüllt den 39-jährigen Saxofonisten James Carter noch immer mit Stolz. Dass er seit Mitte der neunziger Jahre zu den einflussreichsten Jazzmusikern zählt, hat ihm jedoch kaum geholfen. „Zu früh, zu schnell, zu viel“ – so urteilten Kritiker und Musikerkollegen angesichts seines rasanten Aufstiegs nach seinem Debüt JC On The Set und seinem balladesken Meisterwerk A Real Quietstorm. Mit JC On The Set hatte er damals die Hoffnung geweckt, die zerstrittene amerikanische Jazz-Szene zu einen. Von einem Jazz-Krieg war die Rede. Carter fand Anerkennung auf beiden Seiten, bei den Neotraditionalisten wie der verfeindeten schwarzen Avantgarde.

Doch Carter hatte kein Glück als Leiter einer Band. Als der Ruhm kam, verließen ihn seine experimentierfreudigen Musiker. In den letzten Jahren war er mit seiner Orgeljazz-Band unterwegs und spielte den Unterhalter, er gab ein besorgniserregendes Bild ab. Gleich, ob er improvisatorische Kunststückchen aus seiner Kuriositäten-Schatztruhe holte oder einen Blues sang, Carter drehte sich zunehmend um sich selbst. Das angebliche Publikumsinteresse diente ihm als Alibi – in Wirklichkeit fehlte ihm der Mut.

Bei seinem neuen Album Present Tense standen ihm nun eine große Plattenfirma und der anerkannte Jazzproduzent Michael Cuscuna zur Seite. Auch ihre Unterstützung kann die Beliebigkeit des Materials nicht verdecken. Wen interessieren schon seine drei Eigenkompositionen auf der CD, wenn gerade diese überhaupt nicht auffallen? Es ist der Brei aus großem Können und fehlender Vision, der nicht mundet und doch erstaunt. Present Tense beginnt mit einem großartigen Solo des Pianisten D.D. Jackson. Seine Wucht weckt die Hoffnung, hier würde man endlich befreit vom Standard-Gedudel der vergangenen Jahrzehnte. Man spürt, weshalb Carter vor zehn Jahren als Retter des Jazz gehandelt wurde. Doch dann bröckelt es schnell wieder, zerfasert in Bossa, Hotelbar und eine Traditions-Verliebtheit, deren kritisches Potenzial sich nicht einmal Eingeweihten erschließt.

Carter redet oft vom HipHop, von schwarzer Kultur und der Widerstandskraft des Jazz. Er möchte alle bedienen, so regiert am Ende doch der Mainstream.

„Present Tense“ von James Carter ist bei Emarcy Records/Universal erschienen.

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