Auf Betriebsfeiern fühlt sich der DJ besonders allein. Die Kumpels dürfen nicht hin, die Freundin hat Besseres zu tun. In Clubs und Bars herrschen Musikbegeisterung und Tanzwut – Betriebsfeiern hingegen beherrscht die Arbeit, sie bestimmt die Unterhaltungen der Gäste. Und wenn der DJ keinen Spaß hat, verkommt seine Kunst zur Dienstleistung. Immerhin ist diese in aller Regel gut bezahlt.
Jochen macht das schon lange. Bei der Weihnachtsfeier dieses Heizöllieferanten tritt er nun bereits das dritte Jahr in Folge an die Plattenteller. Ein Schulfreund hatte ihn damals gebucht. Doch nun ist er weit weg, auf einer Bohrinsel. Jochen gibt sein Bestes. Gute Musik will er spielen, nicht die herkömmlichen Fetenknaller von der 3CD-Box aus der Tankstelle. Und doch kann er es keinem recht machen: Die Sekretärin möchte die Bee Gees hören, der Chef „markige Gewinnermusik – Rwooack!“, der Azubi wünscht sich HipHop, die Abteilung Mahnwesen will Amy Winehouse. Mit Depeche Mode kann Jochen nicht dienen, die mag er einfach nicht.
Auf Betriebsfeiern spaltet jede Musik die Menge der Tanzenden. Entweder ist sie nicht gut, oder nicht banal genug. Was des einen Po zum Wackeln bringt, kommt dem anderen zu den Ohren heraus. Jochen begreift: Seine Aufgabe besteht heute darin, die Gemüter zu beschwichtigen. Glücklich wird hier niemand. Die ideale Musik für Betriebsfeiern muss erst erfunden werden. Muss?
Die Erfindung der Idealen Musik Für Betriebsfeiern, kurz IMFB, verdanken wir einem Zufall. Denn Jochen hält es nicht aus bei dieser Feier. Um 23 Uhr schleicht er sich durch den Hinterausgang und türmt im Taxi. Auf seine Gage wird er verzichten müssen. Weil sich niemand für ihn interessiert, legt er eine CD ein und lässt sie durchlaufen: Side-Stepper von The Bamboos, einer australischen Funkband. Jochen hat sie noch gar nicht gehört. Er hätte es besser tun sollen.
Denn ausgerechnet diese CD erfüllt alle Wünsche und eint die Anwesenden. Die Musik der Bamboos macht glückselig, IMFB bis zum Umfallen. Sie swingt, hat Soul, ist tanzbar und sie hat das, was der Musikindustrie das größte Ding seit dem Cher-Effekt ist: den Amy-Winehouse-Faktor. Sie klingt alt und aktuell zugleich. Jochen ist noch nicht zu Hause, da kocht die Party. Der Azubi tanzt mit der Nudel aus der Buchhaltung, der Chef hat das Buffet mit seinem Hinterteil abgeräumt und selbst der Prokurist frohlockt. Auf dieser Feier gibt es keine Hierarchien mehr, kein lässig oder verkrampft, auf diesem Tanzboden sind alle gleich. Und sie benehmen sich entsprechend.
Wenn die Stimmen der Gastsängerinnen Megan Washington und Kylie Auldist ertönen, werden die Hüften obszön gedreht, Parfüm ehelicht Schweiß. Wenn die Bamboos es ohne Sängerin versuchen, blüht ihre Spielfreude. Und wenn ein Brite namens TY rappt, freut sich nicht nur der Azubi.
Ein Jahr später wundert sich Jochen, dass der Heizöllieferant ihn wieder als DJ für die Weihnachtsfeier engagiert. Er hätte besser bleiben sollen.
„Side-Stepper“ von The Bamboos ist auf CD und LP erschienen bei Tru Though/Groove Attack.
…
Weitere Beiträge aus der Kategorie SOUL
Jazzanova: „Of All The Things“ (Verve/Universal 2008)
Jamie Lidell: „Jim“ (Warp Records/Rough Trade 2008)
Erykah Badu: „New Amerykah Part One (4th World War)“ (Universal Motown 2008)
Michael Jackson: „Thriller“ (Epic 1982)
„The Very Best Of Éthiopiques“ (Union Square Music 2008)
Alle Musikangebote von ZEIT online finden Sie unter www.zeit.de/musik