Aus Fragmenten der Alten Musik von Guillaume Dufay und synthetischen Klängen bauen der Elektronikbastler Ambrose Field und der Tenor John Potter das psychedelische Werk „Being Dufay“
In der Filmkomödie Being John Malkovitch entdeckt ein erfolgloser Puppenspieler eine Tür, die in den Kopf des gleichnamigen Schauspielers führt. Auf Being Dufay sind Ambrose Field und John Potter in das Hirn von Guillaume Dufay gekrochen, eines flämischen Komponisten des 15. Jahrhunderts. Der Elektronikbastler Field und der Tenor Potter bauen aus Fragmenten des Altmeisters und synthetischen Klängen eine Welt von psychedelischer Dichte.
An Hollywood erinnert nicht nur der Titel des Albums. Field ist spezialisiert auf Surround-Sound-Projekte für Liveshows, Klanginstallationen und Kunstkino. Auch auf Being Dufay erklingt an Filmmusik erinnerndes – der Film dazu müsste ein Kreuzung sein aus Independence Day und Der Name der Rose; oder eine Folge von Akte X, in der Körperfresser von Kassiopeia unter Kapuzinern wüten; oder das noch ungedrehte Prequel zu Herr der Ringe.
Mit cineastischer Begrifflichkeit erläutert Ambrose Field seine Arbeitsweise: Wie in einem Blockbuster mit dickem Budget computergenerierte Gebäude von Sperrholzkulissen, virtuelle Figuren von Schauspielern aus Fleisch und Blut nicht mehr zu unterscheiden sind, so habe er die Stimme John Potters verschmelzen wollen mit einem digitalen Modell ihrer selbst, aus dem er Chöre, Frauenstimmen und sogar eine Bassklarinette bastelt. Der im Rechner nachgebaute Tenor wird verdoppelt, vervierfacht, verdutzend und variiert, um wie ein echter Chor zu klingen – und doch trägt jede Einzelstimme die Merkmale des Solisten: Angriff der Klonkantorei.
So dominiert Potters Stimme das Album – dabei hat er nur rund acht Minuten lang sorgfältig ausgewählte Melodieabschnitte eingesungen, der Rest sind Loops und Chöre, Robo-Stimmen und Kindergesang. Und immer wieder erhebt sich aus wabernden Synthesizern ein ganzer Abschnitt unveränderter Melodie Dufays wie eine Lerche aus dem Morgendunst.
Der Tenor, der auch mal in Blues- und Rockbands gesungen hat, nähert sich dem reinen Klangideal der Renaissance zwar an, lässt seiner Stimme gleichwohl kleine, sympathische Charaktermerkmale, eine Rauheit hier, ein leicht kehliges Knödeln da. Seine Autorität in der Alten Musik ist so groß – er hat mit seinem Dowland Project mehrere ähnlich experimentelle Alben aufgenommen, unterrichtet an der University of York und schreibt einschlägige Bücher – , dass die Frage „dürfen die das?“ auch noch dem scheubeklapptesten Puristen auf der rotweingegerbten Zunge verdorren müsste.
„Die dürfen das.“ Schon deshalb, weil der im Jahr 1474 gestorbene Guillaume Dufay ähnlich drauf gewesen sein dürfte wie Potter und Field, offen für Stilverwirrungen, für musikalische Experimente. Er schrieb neben zahlreicher geistlicher Musik eindrucksvoll sinnliche Liebeslieder. Im Jahr 1397 dort geboren, wo heute die Grenze zwischen Frankreich und Belgien verläuft, reiste Dufay ausgiebig durch Europa, saugte Einflüsse auf und bediente sich der Werke zeitgenössischer und verstorbener Kollegen – eine Technik, die damals noch nicht als Plagiarismus verpönt war: Dufay sampelte.
Ambrose Field schreibt, Dufay habe Techniken entwickelt, seine Musik um existierendes Material zu strukturieren, ohne dass die Texturen zu dicht, die Worte unverständlich würden. Ähnlich arbeitet sein Nachfahr im Geiste: Was er aus dem Rechner drechselt, ist keine Klangschmiere für die New-Age-Ecke, kein klandestines Klangteppichgeklöppel. Der Komponist beginnt seine Werke mit Klavier und Notizblock. Computer, sagt er, möge er nicht einmal besonders; deshalb liege ihm viel daran, die Klänge auf Anhieb so hinzubekommen, wie er sie haben wolle, statt sie später mühsam zu edieren.
Wer sich beim Hinhören ein wenig Mühe gibt, kann nachvollziehen, wie Field etwa in Je Me Complains mit Techniken aus der Renaissance spielt, harmonische Konventionen zitiert, nur um sie zu brechen, die alten Klangideale digital nachbaut und zum Ausgleich die Stimme aus ihrer Zeit versetzt in die Struktur eines Poplieds aus Strophe, Refrain und Zwischenteil. Wer keine Lust hat, sich Mühe zu geben, schwelgt sieben Stücke lang in Klangtiefen, von denen Pink Floyd nur träumen konnten – obwohl die moderne Vokaltechnik umgeben ist von Yamaha- und Roland-Synthesizern, die teils noch aus den achtziger Jahren stammen.
Das Resultat ist so etwas wie die Umkehr des beim selben Label (ECM) erschienenen und vom selben Produzenten (Labelchef Manfred Eicher) betreuten Erfolgsalbums Officium. Auf dem sang das Hilliard Ensemble Alte Musik, und der Jazzsaxophonist Jan Garbarek improvisierte Melodielinien dazu. Diesmal kommt die Melodie aus einem vergangenen Jahrhundert, und die Moderne bildet den Hintergrund. Die Parallele ist kein Zufall ¬– John Potter sang 18 Jahre lang beim Hilliard Ensemble.
Wie Officium entfaltet auch Being Dufay meditative Qualitäten, allerdings auf komplexerem Niveau. Eine eigenartige Spannung entsteht aus dem Kontrast der schlichten, fast noch gregorianischen Melodik der Menschenstimme und der komplex geschichteten Synthetik. Das Titelstück entstand, erinnert sich Ambrose Field im CD-Büchlein, für ein Festival in Vigevano bei Mailand, wo um das Castello Sforzesco aus dem 15. Jahrhundert schnittige Autos brausen und Liebende in den Ruinen knutschen. Auch keine schlechte Grundlage für einen Film.
„Being Dufay“ von Ambrose Field und John Potter ist auf CD erschienen bei ECM/Universal.
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