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Blubbern für den Sozialismus

 

In den Achtzigern ließen einige DDR-Musiker die Mauer links liegen und gingen auf kosmische – und komische – Entdeckungsreisen. Die Kompilation „Mandarinenträume“ blickt zurück.

Der Weltraum – unendliche Weiten. Deutschland – eine dämliche Mauer. Das sind die trüben Aussichten zu Beginn der achtziger Jahre. Auf der Ostseite der Mauer machen sich Musiker mithilfe von Synthesizer, Drumcomputer und Sampler auf eine kosmische Reise. Sie komponieren Zukunftsmusik in beengten Verhältnissen.

Die Helden der elektroakustischen Arbeit tragen wenig futuristisch klingende Namen wie Frank Fehse, Hans-Hasso Stamer oder Julius Krebs. Ihre Werke sind nun auf Mandarinenträume zu hören, einer Platte mit elektronischer Musik aus der DDR, die der Journalist Florian Sievers zusammengestellt hat. „Electronic Escapes“ ist im Untertitel zu lesen. Das Weltall der DDR-Musiker begann gleich hinter der Mauer. Wenn die eigene Welt schon am Grenzzaun endete, sollten wenigstens ihre Töne bis zu den Sternen reichen.

„Wie klingt der Kosmos?“ fragten sich Anfang der siebziger Jahre westliche Gruppen wie Can, Tangerine Dream, Kraftwerk oder Klaus Schulze. In ihrer Klangforschung wurden die Musiker von Science-Fiction-Filmen wie 2001 und Solaris ebenso beeinflusst wie von der Entwicklung der Computertechnik. Der Wettlauf im All während des Kalten Krieges tat sein übriges.

Die DDR-Musiker hingegen brachen mit Verspätung in den Kosmos auf. Erst in den Achtziger Jahren durften Platten westlicher Elektronikmusik in der DDR erscheinen. Unter der strengen Kontrolle des Ministeriums für Kultur konnten sich die Künstler kaum entfalten. Als die Regierung beschloss, die Zukunft des sozialistischen Staates liege im Kleincomputer, bewegte sich was. Fast alles, was auch nur entfernt nach futuristischem Aufbruch klang, wurde von der Staatsführung nun ausdrücklich begrüßt. Die Gruppe Pond landete mit Planetenwind sogar einen Hit.

Das machte das Musizieren im Osten trotzdem nicht leichter: Die neuesten elektronischen Instrumente waren weiterhin nur im Ausland zu bekommen und mussten mühselig eingeschmuggelt werden.

In ihren Studios durchbrachen die Musiker jedoch alle Grenzen: Sie spielten durchgedrehten Fantasy-Funk und ließen endlose Synthie-Nebel durch die Lautsprecher wabern. Im Dienste eines fortschrittlichen Sozialismus blubberten die Bässe, wogten elektroakustische Wellen mit psychedelischen Schaumkronen. Sogar eine ganze Sinfonie kann man auf Mandarinenträume hören: In Der Traum von Asgard bemüht der Musiker Reinhard Lakomy das große Klangpanorama. Ganze zehn Minuten dauert sein düsterer Kommentar zur Verdorbenheit des Westens.

Dass Lakomys pathetisches Gedudel selbst ziemlich vulgär ausfällt, gehört zu den vielen kuriosen Missverständnissen dieser Zusammenstellung. So klingen bedeutungsvolle Titel wie Das unendliche Rätsel und Raumzeit wie Hörspielmusik oder der Soundtrack zu antiken Videospielen. Sympathisch sind auch die vielen kleinen Juwelen am Rande: Die Berliner Formation Key macht auf Discofunk, der gelernte Fernmeldemonteur Wolfgang „Paule“ Fuchs sprengt mit der Bombast-Hymne Galaxis noch jeden Meteoriten, während der Jazzgitarrist Wolfgang Paulke mitsamt seinem grüblerischen Krautrock-Pomp namens Zeitmaschine längst in derselbigen verschollen ist.

Herrlich geschmacklos wird es, wenn leblose Fanfaren eine mediterrane Partystimmung beschwören, aber doch nur nach Treff 77 in Heringsdorf klingen. Da sollen grelle Plaste-Gitarren die Hitze von Miami Beach erzeugen, letztlich reicht es aber es nur für Club Cola am Gardasee.

Gerade in diesen Momenten unfreiwilliger Komik erscheint die Experimentierfreude der DDR-Musiker nicht weniger sehnsüchtig als die der Kollegen aus dem Westen. Bleibt nur zu hoffen, dass Mandarinenträume nicht als kultiges Produkt in den DDR-Nostalgie-Shops versauert. Das hätten die träumenden Visionäre nicht verdient. Denn wie heißt es im Lied des kosmischen Altmeisters Reinhard Lakomy so schön: „Es wächst das Gras nicht über alles.“ Die Mauer ist verschwunden, das Weltall ist noch da.

Die Compilation „Mandarinenträume. Electronic Escapes from the Deutsche Demokratische Republik 1981-1989“ ist bei Permanent Vacation erschienen.