Der Regisseur Michel Klöfkorn hat das Attac-Video zu „Alles auf Anfang“ von Wir Sind Helden gedreht. Was nachhaltige Optik ist und was uns die Sprechblasen sagen sollen, erzählt er im Interview.
ZEIT ONLINE: Herr Klöfkorn, Wir Sind Helden haben Attac den Song Alles auf Anfang überlassen. Sie haben nun zusammen mit Anna Berger ein dazugehöriges, alternatives Musikvideo gedreht. Wie kam es dazu?
Michel Klöfkorn: Ich mache ja eigentlich schon lange keine Musikvideos mehr. Aber der Bundesvorstand von Attac hat mich angesprochen, die sind Nachbarn von mir in Frankfurt. Es war ein Freundschaftsdienst für eine gute Idee.
ZEIT ONLINE: Warum haben Sie die Alltagswelt mit Pappsprechblasen ausgestattet?
Klöfkorn: Ich will, dass die Dinge sprechen. Ich will wissen: Woraus besteht der Autoreifen? Aus wie vielen Materialien besteht der Fernseher? Jeder sollte ein kleinteiligeres Denken entwickeln und fragen: Wo kommt das her, wer hat das produziert? Ich beschäftige mich ständig mit der großen Nachhaltigkeitsdiskussion, und das klingt auch im Video an.
ZEIT ONLINE: Plakate mit Sprechblasen sieht man in einigen Musikvideos und auf jeder Demonstration.
Klöfkorn: Sich neben jemanden zu stellen und ihm was in den Mund zu legen, ist eine immer beliebter werdende Protestform. Aber der Unterschied zu allen bisherigen Sprechblasen, die ich in Videos oder im Internet gesehen habe, ist, dass in diesem Video Fragen gestellt werden. Wer nicht fragt, ist tot.
ZEIT ONLINE: Explizite Kritik an Politik und Gesellschaft übt das Video nicht.
Klöfkorn: Attac hätte sich wohl auch mehr Parolen gewünscht. Ich hätte politisch deutlichere Sachen sagen können, aber das Video sollte sich am Liedtext entlang hangeln und an der Musik, von der ich hoffe, dass sie ein Demo-Hit wird. Das ist ein weicher Einstieg für 18- bis 20-Jährige.
ZEIT ONLINE: Warum hat Judith Holofernes gerade jetzt das Video an Attac gegeben, da sie ohnehin wegen der Bild-Kampagne sehr viel Aufmerksamkeit erregt hat?
Klöfkorn: Das Lied ist angeblich acht Jahre alt und hat einen sehr antiautoritären Text. Ich vermute, dass Judith Holofernes das ihrem Publikum lange Zeit nicht zugetraut hat. Irgendwie ist sie jetzt aufgewacht. Ihr Publikum hat ihr plötzlich Mut gemacht, nehme ich an. Es ist ja schön, wenn Musiker sich mal wieder trauen, aus dem Gefängnis der Musikindustrie auszubrechen. Die Lieder und Worte, die Judith Holofernes schreibt, gehören ja nicht ihr, sondern Sony. Sie und ihr Manager haben ihre Zustimmung gegeben, aber das Video war nach zwei Stunden runter von Youtube mit den Worten: „Dieser Content gehört Sony Music.“ Jetzt, nach einem Monat, ist es wieder online.
ZEIT ONLINE: In Köln ist gerade eine Retrospektive zur Geschichte des Musikvideos zu sehen. Ist das Genre museumsreif?
Klöfkorn: Es ist eigentlich eine Provokation, die Videos dort aufzuhängen. Sie sind gemacht für den Fernseher, der gehört ins Hotelzimmer oder auf den Kühlschrank, da plärrt er dann runter. Nebenbei: Ich habe bei den Kommunalwahlen SPD gewählt, weil die versprechen, keinen Quadratzentimeter Museum zu bauen. Denn Museen sind der natürliche Feind des Künstlers.
ZEIT ONLINE: In der Ausstellung The Art of Pop Video läuft unter anderem Ihr Clip zu Vergiftet von Jan Delay. Auch ein Musiker, der wie Holofernes aus der linken Ecke kam und nun durch die gesellschaftliche Mitte balanciert.
Klöfkorn: Ich finde Jan Delay Spitze. Er ist umgeben von lauter gestandenen Musikern. Da kann er nicht mehr den kleinen frechen Kiffer spielen. Da muss er amtlich auftreten.
ZEIT ONLINE: Macht man sich als Musikvideoregisseur immer zum Anwalt der Band?
Klöfkorn: Man muss als Regisseur die Musik lieben. Sonst kommt dabei Mist raus.