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Als R’n’B zu Rock’n’Roll wurde

 

Er war schon vor der Retro-Soul-Welle da: Der großartige Sänger Raphael Saadiq präsentiert auf seinem neuem Album „Stone Rollin'“ instrumentale und vokale Wertarbeit.

© Alex Prager

Als Mick Jagger im Februar bei der diesjährigen Verleihung der Grammys die Bühne betrat, kam einem zweierlei in den Sinn. Das erste war die Frage: Warum gibt dem Mann eigentlich niemand was zu essen? Das zweite die Erklärung, warum der Rolling-Stones-Sänger so unsagbar reich geworden ist: Er spart bis heute an einem vernünftigen Friseur.

Der dürre Jagger knöpfte seine türkisfarbene Smokingjacke auf und sang zu Ehren des im Oktober verstorbenen Solomon Burke eine rauschende Version von dessen größtem Hit Everybody Needs Somebody To Love.

Was allerdings angesichts der tanzenden und klatschenden Prominenz in Los Angeles nicht weiter auffiel: Wieder mal bewies Jagger sein außergewöhnliches Gespür für Symbolpolitik. Hatte er doch als Gitarristen für diesen Auftritt einen gewissen Raphael Saadiq engagiert, und diesem damit quasi den Staffelstab der Legende Burke weitergereicht.

Eine Ehre, die kaum einer so verdient hat wie Saadiq. Nicht nur, weil er sich als Sänger, Musiker und Produzent über die Jahre ähnlich hingebungsvoll wie der große Solomon am Vermächtnis des Soul abgearbeitet hat. Sondern auch, weil sein neues Album Stone Rollin‘ zwar so ähnlich heißt Mick Jaggers Band, die sich bekanntlich nach einem Blues-Song benannt hat, aber vor allem die allergrößten Zeiten des Soul heraufbeschwört.

Wehen durch den Sound von Stone Rollin‘ doch das frühlingshafte Popverständnis der frühen Motown-Singles, aber auch das bläserschwere Drängen der Stax-Aufnahmen oder der leichtere, fast schon süßliche Philly Soul. Mit geradezu manischer Detailtreue rekonstruiert Saadiq aber nicht nur den Klang der sechziger Jahre, sondern geht zurück bis in die Fünfziger: Im Titelsong erforscht er noch einmal den Moment, in dem der R’n’B sich in den Rock’n’Roll verwandelte.

© Alex Prager

Seine Gesellenzeit absolvierte der mittlerweile 44-Jährige als Bassist in der Band von Sheila E., spielte also auch regelmäßig mit Prince, als der den R’n’B gerade auf den Kopf stellte. Daran anschließend mühte sich der Rest der schwarzen Musikwelt zwar eifrig, Soul mit Rap und den neuen elektronischen Erkenntnissen zu verschmelzen, aber Saadiq hielt als Sänger von Tony! Toni! Toné! die Traditionen am Leben. Später bewies er, dass er auch mit einem modernen Studio umgehen konnte und arbeitete als Produzent und Songschreiber für Joss Stone, D’Angelo, John Legend oder Mary J. Blige. Doch während Sampler und Computer die Macht übernahmen, legte er auf seinen Solo-Alben seit den frühen Nuller Jahren zunehmend Wert auf instrumentale und vokale Wertarbeit.

Damit wirkte er zwischenzeitlich wie ein frustrierter Vermächtnisverwalter, der an der Bar herumlamentiert. Früher war alles besser. Nun aber hat die Entwicklung Saadiq eingeholt: Heute ist das Früher plötzlich wieder großartig. Denn dem vor allem von seiner Patina lebenden Retro-Soul von Amy Winehouse oder Duffy folgten Plan B und Aloe Blacc mit erfolgreichen Versuchen, den klassischen Soul in der Neuzeit zu verorten.

Mitten zwischen diesen beiden Ideen, wie man mit dem Erbe umgehen könnte, sucht Raphael Saadiq seinen Platz. Sein Geschichtsbewusstsein ist unüberhörbar, aber er ist nicht der Fremdenführer auf einer Zeitreise. Stone Rollin‘ klingt so, wie der klassische Soul jetzt klingen würde, wenn den Protagonisten von damals bereits die technischen Möglichkeiten von heute zur Verfügung gestanden hätten. Also ungefähr so, wie Mick Jagger aussieht: Der Mann kann die Jahre nicht verleugnen, aber er hat sich unglaublich gut gehalten.

„Stone Rollin'“ von Raphael Saadiq ist erschienen bei Columbia/Sony Music.