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Paaadiiiieh mit den Kapitalismuskritikern

 

Die Hamburger Truppe namens Deichkind ist bekannt für ihre phänomenalen Konzerte. Jetzt erscheint ein neues Album, das den pompösen, politisch abgesicherten Eskapismus feiert.

© Universal Music

Manche Bands provozieren ein seltsames Vorurteil. Ein Vorurteil, das als Lob getarnt daher kommt. Es lautet: Die muss man live gesehen haben. Das sagen die Menschen über Deichkind, und tatsächlich – man kann es einfach mal glauben. Das bedeutet aber auch im Umkehrschluss: Auf Platte machen die ziemlich beschissene Musik. Oder?

Die Band selbst weiß sehr gut, was so über sie geredet wird. So gut, dass sie auf ihrem neuen Album Befehl von ganz unten dieses Vorurteil sogar – ironisch gebrochen natürlich – zitiert: „Die Platte von Deichkind war nicht so mein Ding“, wird da gerappt, „doch ihre Shows sind leider geil“.

Dass das so bleibt, dafür sorgen bei der kommenden Tournee Sound-Equipment und Bühnenfirlefanz, die von drei Sattelschleppern transportiert werden müssen. Ein Aufwand, den sich früher, in den goldenen Zeiten, US-amerikanische Stadionrockbands leisteten. Aber nicht mal die hatten so viele bunte Kostüme.

Der Umbau von der lustigen Hamburger Hip-Hop-Kapelle zum über die ganze Republik verstreuten, glamourösen Hightech-Entertainment-Unternehmen, das 2006 mit Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah) auch seine programmatische Hymne bekommen hat, ist erfolgreich abgeschlossen. Was immer man davon halten mag: Deichkind haben jedenfalls rechtzeitig die Zeitenwende erkannt und sich mit ihren ausgetüftelten Bühnenshows auf das Live-Geschäft konzentriert. Angesichts sinkender Tonträgerverkäufe sicherlich die richtige Entscheidung.

Auf Befehl von ganz unten aber geht es, wenn man mal richtig hinhört, lange nicht so lustig zu. Dort wandern Rechnungen ungelesen in den Müll, in der Glotze läuft Barbara Salesch, und die Überstunden sind unbezahlt. Kurz: „Diese Welt ist traurig, dreckig und laut.“

Illegale Fans von Deichkind

Immer wieder schlüpfen Sebastian „Porky“ Dürre, Philipp „Kryptic Joe“ Grütering und Ferris MC Hilton über den kräftig bollernden Beats mit Punk-Attitüde von DJ Phono in die Rollen prototypischer Bewohner dieser Welt. Mal in die dauervernetzten, datensammelnden, statusaktualisierenden Onliner, die sich im sozialen Netzwerk in Nichts aufzulösen droht. Dann in ein Pärchen im Partnerlook, das sich allein über den gemeinsamen Konsum findet, oder in solche Menschen, die leben wie in der Illustrierten oder zumindest gerne so leben würden und „viel zu viele BMWs vor der Haustür“ haben.

In Leider geil sind wir dann alle dran, also jene, die gern gut sein wollen, aber feststellen müssen, dass alles, was Spaß macht, zu einem Dasein als Ressourcenverbraucher, Ökoschwein und Warenweltidiot führt. Oder sie reihen in 99 Bierkanister einfach Name an Parole an Schlagwort: Dann stolpert Steffi Graf über Dirk Nowitzki, folgen auf „Sauerkraut und Underberg“ prompt „Lumpenproletariat, Kommunismus, Engels, Marx“.

Bück dich hoch (Ausschnitt) von Deichkind Musik

Vor allem Bück Dich hoch ist eine recht lautstarke Abrechnung mit der modernen, effizienzoptimierten Kreativwirtschaft, die ihren sich als Hipster fühlenden Opfern erfolgreich einredet, sie würden nicht ausgebeutet, sondern vollkommen selbstbestimmt an Lustgewinn und Persönlichkeitsausbildung arbeiten.

Man könnte also sagen: Deichkind vollziehen mit anderen, zugegeben etwas primitiveren, aber dadurch vielleicht ja auch konsequenteren Mitteln nach, was Tocotronic mit Kapitulation bereits durchgeführt haben: Eine grundsätzliche Kapitalismuskritik, angepasst an den modernen, hedonistischen Lebensstil ihrer Zielgruppe.

Deichkind kommen allerdings nicht über die ironische und, das muss man zugeben, überaus unterhaltsame Darstellung der Missstände hinaus. Wo Tocotronic die symbolische Kapitulation empfehlen als subversive Verweigerung, die Systemfehler herbeiführen soll, bieten Deichkind nur die Flucht vor den Umständen. Oder eben: Immerhin. Tatsächlich kam Eskapismus hierzulande lange schon nicht mehr so pompös und gleichzeitig politisch abgesichert daher.

„Befehl von ganz unten“ von Deichkind erscheint am 10. Februar bei Vertigo Berlin/Universal.