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Irrsinnswirbel der Instrumente

 

Gewaltig, was Motorpsycho auf ihrem Doppelalbum „The Death Defying Unicorn“ anstellen! Die Fusion aus Prog-Rock und Jazz als orchestrales Konzeptwerk ist in dieser Konsequenz beispiellos.

© Kim Ramberghaug

Seit mehr als 20 Jahren entwickeln die Norweger Bent Sæther und Hans Magnus „Snah“ Ryan den Progressive Rock ihrer Band Motorpsycho unentwegt weiter. Vierzehn Studioalben, diverse Kollaborationen, EPs und Live-Platten sind dabei entstanden – und ein Gitarrenrockstil mit unberechenbarem Charakter. Jetzt gibt es ihr Opus magnum; mehr Motorpsycho geht nicht.

Motorpsycho & Staale Storloekken – Into The Gyre

Ohne das norwegische Jazzforum wäre The Death Defying Unicorn dennoch wohl nie entstanden. Die vom Kulturrat geförderte Vereinigung regionaler Jazzzentren organisiert u. a. Festivals und unterstützt die knapp 400 angeschlossenen Jazzmusiker des Landes. Im Jahr 2009 bat das Forum die Band, gemeinsam mit dem Trondheim Jazz Orchestra und dem Keyboarder Ståle Storløkken ein Set fürs 50. Jubiläum des Moldejazz Festivals 2010 zu entwickeln.

Die zunächst nur einmalig geplante Zusammenarbeit des Cross-Genre-Projekts setzt sich nun auf CD, MP3 und Vinyl fort. Als Grundlage für The Death Defying Unicorn dient Sæther, Snah und Storløkken die instrumentale Besetzung ihres Moldejazz-Auftritts. Knapp 30 Musiker haben sich daran beteiligt. Zusätzlich zum aktuellen Band-Schlagzeuger Kenneth Kapstad und den Bläsern des Trondheim Jazz Orchestras haben sich das Streicher-Oktett TrondheimSolistene und der Violinist Ola Kvernberg dem Trupp angeschlossen. Frei von künstlerischen Zwängen bedient sich die Supergroup dem vollen Spektrum aus Ruhe und Eskalation, aus leichten Melodien und überbordendem Chaos.

Das Konzeptalbum mit dem Untertitel A fanciful and fairly far-out musical fable („Ein fantastisches und ziemlich weitreichendes Musikmärchen“) enthält 80 Minuten Musik, die so viel Experiment ist, wie sich geübte Motorpsycho-Hörer gerade zu wünschen gewagt hätten. Seine erzählerische wie musikalische Tiefe lebt weniger von den Texten Sæthers, der knapp die Hälfte der Prog-Rock-Oper gesanglich begleitet, als vom Irrsinnswirbel der Instrumente.

Inspiriert von den sechziger und siebziger Jahren beginnt das zehnminütige Into The Gyre mit sanften Geigen und Flötenklängen – psychedelisch verträumt wie ein Stück aus der Hippie-Ära und ihrem Musical Hair. Doch Motorpsycho ruhen nicht im sanften Gras. Sie lassen eine bescheidene Melodie wachsen, die bald darauf wieder zerfällt. Mit harten, scharfen Schnitten bereiten Streicher dem Bund aus Schlagzeug und Gitarren die Bahn für eine bis zum Metal gesteigerte Krachpassage. Auf dieses Gewitter folgen drei Minuten Ausklangphase – das klassische Mittel zum Atemholen.

Vieles steckt drin in The Death Defying Unicorn, sei es sein vollblütiger Rockkracher Mutiny! oder das massive La Lethe, auf dessen Gipfel das Saxofon singt. Neu erfunden haben sich Motorpsycho damit nicht; das hat auch niemand erwartet. Vielmehr hat die Band dem Prog-Rock ein Denkmal gesetzt. Und wer, wenn nicht sie, hätte das sonst geschafft?

„The Death Defying Unicorn“ von Motorpsycho ist erschienen bei Stickman Records/Soulfood.