Wenn eine Synästhetikerin Musik macht, geht’s immer auch um Farbenhören. Das erstaunliche Debütalbum von Beth Jeans Houghton schwelgt in bunten Folkpopfantasien.
Wenn Beth Jeans Houghton die vier Buchstaben ihres Vornamens hört, sieht sie Farben: grau, grün, dunkel- und hellgelb. Audition colorée oder auch Synästhesie nennt man das – akustische Reize sind für die englische Sängerin auch visuell, sie empfindet mit mehreren Sinnesorganen gleichzeitig. Ihrer Musik merkt man das an. Mit gerade mal 22 Jahren legt sie ein ambitioniertes Debüt hin, das vor allem sehr bunt ist.
Im knackig kurzen Eröffnungsstück trifft Stefan Mross auf die Beach Boys, dazu gibt es analoge Synthesizer, Pauken und ein Streichquartett. Wie sich Houghton durch die imaginäre Bergwelt jodelt, erinnert an Alison Goldfrapp oder Kate Bush, manchmal klingt sie wie auf Helium. Ihre Stimme hört sich älter an, als sie ist, selbstbewusst und ausdrucksstark. Im Stück Nightswimmer ist sie einfach fabelhaft.
Beth Jeans Houghton & The Hooves Of Destiny – Dodecahedron
Gesangliche und instrumentale Unterstützung erhält sie von den Hooves Of Destiny. Toll ergänzen die vier Männer Houghtons Kompositionen, klingen einmal sogar wie die Backgroundstimmen in der Bikini-Hymne Kokomo. Mit Banjo und Kontrabass tendiert das Album bisweilen in Richtung Bluegrass, ansonsten ist es eine eigene Mischung aus Indiefolk, Glam Rock und Psychedelic. Als Hidden Track lauert ein rotzfrecher Punksong.
Ihre Heimat Newcastle upon Tyne hat die Sängerin inzwischen gegen L.A. eingetauscht. Unter der Sonne Kaliforniens fährt sie Motorrad mit Anthony Kiedis und lässt sich von Neil Young im weißen Cadillac durch Malibu kutschieren. Die Frau weiß, was sie will. Schmeißt mit sechzehn die Schule, kauft sich eine Strat und unterschreibt keine zwei Jahre später ihren ersten Plattenvertrag. Als Support von Bon Iver und Mumford & Sons sorgt sie für Aufsehen.
An diese Zeit erinnert mancher Song auf ihrem Album, auch wenn Houghton das Etikett nicht ausstehen kann. „Folk that!„, lautet ihr Kommentar. In der Tat geht die Mehrzahl der Stücke weit darüber hinaus, auch textlich. Wer träumt schon von platonischen Körpern mit zwanzig Ecken: „Last night I dreamed of dodecahedrons / My eyes were bleeding with crimson sight„, trällert sie und fliegt dann wie ein Vogel davon. Der Song ist eine kuriose Kreuzung aus Israel Kamakawiwo’oles Over the Rainbow/What a Wonderful World und Tonight, Tonight von den Smashing Pumpkins.
Beth Jeans Houghton & The Hooves Of Destiny – Sweet Tooth Bird
Ob Spoken-Word-Einlagen, peruanische Kistentrommel oder Durchsagen von Flugbegleitern: Houghtons Fantasie kennt keine Grenzen. Zuweilen mag das überladen oder gewollt wirken, und nach hinten flacht das Album etwas ab. Doch im Ganzen ist es eine bezaubernde Mischung: wunderbarer Gesang plus Musik, die mit Instrumenten wie Cembalo, Ukulele und Lamellofon die Trennlinien zwischen den Genres verschwimmen lässt. Nur wenn Houghton – wie im letzten Stück Carousel – die Königin der Nacht mimt, nervt das ein wenig.
So unterhaltsam dieser akustische Jahrmarkt ist, so selten sind die Gänsehautmomente. Da helfen selbst die allgegenwärtigen Streicher kaum. Aber darum geht es Houghton auch gar nicht. Stattdessen gewährt uns Beth Jeans Houghton einen Blick in ihre überschäumende Sinneswelt. Dafür: danke! Oder besser: blau – rot – schwarz – weiß – grün!
„Yours Truly, Cellophane Nose“ von Beth Jeans Houghton & The Hooves Of Destiny ist erschienen bei Mute – Aip/Goodtogo