Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Stolze Bitches am Mikrofon

 

Seattle, die Stadt des Grunge, schwingt jetzt im Groove: Das Damenduo THEESatisfaction weist dem Hip-Hop einen neuen Weg abseits ausgetretener Pfade.

© Subpop

Das unbeschriebene Blatt. Das leere Band. Die Tabula Rasa ist das Urmodell der Musik im Zeitalter ihrer digitalen Produzierbarkeit: anything goes, wirklich alles. Das ist ja der Reiz. Jede kleine Entscheidung bekommt Gewicht, definiert Konturen, Farbtemperaturen und Referenzräume, in denen die gesetzten Zeichen Bedeutung erzeugen.

Hip-Hop nimmt hier eine Zwitterstellung ein: einerseits hinreichend codiert als ein Zweig am Baum der schwarzen Musik, in dem Kulturtechniken wie swingende Beats, blaue Tonalitäten und auftrumpfendes Signifying der kollektiven Erfahrung der Schwarzen in Amerika eine ästhetische Heimat geben, Renitenz und Selbstermächtigung inklusive. Andererseits ist Hip-Hop in diesem Sinne schon lange tot, gesteuert von Wiederholungs- und Überbietungszwängen, erstickt unter Bilderbergen von Posing, verkommen zu Treibgut im großen, mächtigen Mainstream – meinte man.

Und wird wieder einmal aufgerüttelt: THEESatisfaction, Stasia Irons und Catherine Harris-White, Stas und Cat, zwei Frauen aus dem geografischen Abseits von Seattle, vereint in Musik und Liebe, weisen dem Genre mit awE naturalE, ihrem Debütalbum, einen anderen Weg, off the beaten track.

Ein anschwellender, synthetisch klingender Akkord, ein lang gezogenes, sanft dahin gehauchtes Yeah – und schon schlüpft awE, die Eröffnungsnummer, in die Rolle einer Ouvertüre. Innerhalb von 50 Sekunden ist das Feld gerodet, alles ist möglich und gleichzeitig klingt schon einmal an, was in den nächsten 30 Minuten real sein wird:

Ruhe und Gelassenheit, cooles Understatement und dramaturgische Raffinesse, Zahlenmystik und geometrische Modelle, modale Pendelharmonik und Groove. Zwischen wattigen Soulharmonien und reduzierten, akustischen Jazzklängen, die durch Filtertricks aus ihrer stilistischen Fassung geworfen werden, bauen THEESatisfaction einen Groove, der zwischen archaischen und modernen Beats oszilliert, dabei aber nie seine tiefschwarze, musikalische Ahnenreihe verleugnet.

Whatever you do, don’t funk with my groove„, warnen die beiden Musikerinnen in QueenS, denn der Groove ist mehr als ein Rhythmus. In ihm, dem schwarzen Groove, der längst als weißer assimiliert wurde, spiegelt sich das Spannungsverhältnis, das sie in den Fokus rücken: in der Sprache des weißen Amerika, die längst zu ihrer geworden ist.

Und eben auch nicht: Stas und Cat lassen die Ambivalenzen tanzen. Sie treten einige Schritte zurück, dorthin wo der Hip-Hop seinen Anfang hatte, und spielen das Spiel der Selbstermächtigung und der Umwertung der Werte: Aus Trotz wird Stolz, aus Abwehr Angriffslust. „I am the bitch on your side„, singen sie stolz und rabiat in Bitch, zitieren in Earthseed mit den brennenden Kreuzen des Ku-Klux-Klan den noch immer ungebrochenen Rassismus herbei und wiegen sich in Deeper in trotziger Unverletzbarkeit.

If a monster were to attack / It wouldn’t find me at night / Because I camouflage to black„. Es ist ein Spiel mit den Bedeutungen, doch in der Musik von THEESatisfaction wird es real.

„awE naturalE“ von THEESatisfaction ist erschienen bei Sub Pop Records.