Früher beschimpfte Van Morrison das Publikum, heute setzt er seine Stimme ökonomischer ein: Sein neues Album ist ein Kommentar zur Finanzkrise.
Tourism Ireland hat’s nicht leicht. Das Land kann zwar eine überaus üppige Vegetation vorweisen, ist ansonsten aber vornehmlich bekannt für Hungersnöte, Finanzkrisen und ein torfähnliches Getränk, das die Einheimischen für Bier halten. Also hatte das irische Fremdenverkehrsbüro unlängst eine Idee, um die touristische Anziehungskraft der Insel zu vergrößern: Man wird in den Zielmärkten Frankreich, Spanien, Niederlande und Deutschland eine Verlosung ausloben, dessen erster Preis eine Reise nach Dublin ist. Höhepunkt des Trips ist der Auftritt von Van Morrison Ende Oktober. Jetzt muss nur noch jemand Morrison sagen, dass er über seinen Schatten springen sollte und freundlich sein muss zu den Fremden.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der als extrem muffig verschrieene Van Morrison zum Botschafter seines Heimatlandes ernannt wurde. Nein, Diplomatie war noch nie die Stärke des mittlerweile 67-Jährigen, der regelmäßig Kollegen versetzte, Mitmusiker zusammenschiss und seinem Publikum schon mal Alkohol und Handys verbot, damit es sich auf ihn konzentrieren kann. Nein, seine Stärke war immer vor allem seine Stimme, die nun zum sage und schreibe 34. Mal auf einem Studioalbum erklingt. Es trägt den zweifellos passenden Namen Born To Sing: No Plan B.
Zwar singt Morrison längst nicht mehr so expressiv wie früher. Vermutlich steht seiner mit ihm gealterten Stimme einfach nicht mehr die alte Ausdrucksbreite zur Verfügung, vielleicht aber – was auch nicht ganz unwahrscheinlich ist – hat er einfach keine Lust mehr. Ein gutes Springpferd hüpft nur noch so hoch, wie es muss. Und der sauertöpfische Sänger offenbart auf Born To Sing immer noch oft genug, mit welcher Tiefe sein Organ gesegnet ist.
Perfekt beherrscht er mittlerweile die Kunst der Andeutung: In jedem der bisweilen nur sparsam gesetzten Töne liegt das Wissen, welch Größe diese Stimme einstmals besessen hat, und vor allem das Versprechen, diese Größe jederzeit wieder demonstrieren zu können. Bei Bedarf. Aber nur, wenn der Herr entsprechender Laune ist.
Diese Laune ist zuletzt auch nicht unbedingt besser geworden. Tatsächlich äußert sich Morrison gleich in mehreren Liedern des Albums zur Finanzkrise, die sein Heimatland so getroffen hat. Das darf man als Sensation bezeichnen, denn bislang hat sich der große Grummler aus allen politischen oder sozialkritischen Diskussionen herausgehalten.
Nun erklärt er bereits im Eröffnungssong Open The Door (To Your Heart), dass Geld dem Menschen keine Erfüllung bringt, sondern nur seine Rechnungen begleicht. Dazu swingt seine Band entspannt wie ein Horde Rentner auf Dauerurlaub, die Bläser mosern ein bisschen, und Morrison lässt die Stimme fast so beeindruckend knarzen wie damals, als der junge Van zeitlose Klassiker wie Brown Eyed Girl oder Moondance sang.
Das Thema zieht sich weiter durch Born To Sing und im abschließenden Educating Archie schließlich wird Morrison ganz deutlich: „You’re a slave to the capitalist system/ Which is ruled by the global elite.“ Solche Weisheiten dürften zwar selbst für die längstgedienten Van-Morrison-Fans keine Neuigkeit sein. Aber erstens klingen sie sehr viel besser, wenn Van The Man sie vorträgt. Und zweitens ist es doch auch mal schön, wenn die miese Laune des Meisters zur Abwechslung mal nicht sein eigenes Publikum trifft, sondern jemanden, der es verdient hat. Auch für die künftigen Gewinner des Preisausschreibens von Tourism Ireland dürfte das eine gute Nachricht sein.
„Born To Sing: No Plan B“ von Van Morrison ist erschienen bei Blue Note/EMI.