Der Brite Jamie Lidell zeigt mal wieder, was für ein brillanter Musiker er ist. Sein neues Album gibt dem Funk und R’n’B der Achtziger ein digitalisiertes Gesicht.
Schon seltsam, wenn jemand etwas anderes als sein Debütalbum nach sich selbst benennt, klingt irgendwie eitel, einfallslos, etwas selbstreferenziell. Vielleicht ist es aber auch nur eine Art Dienstleistung an den Erwartungen seiner Fans, die Jamie Lidell dazu bewogen hat, seine vierte oder fünfte, je nach Zählweise gar siebte Studioplatte einfach Jamie Lidell zu nennen. Denn man muss trotz allem Wiedererkennungswert seiner Stimme, trotz des gewohnt schmissigen Sounds dahinter doch zweimal hinhören, ob das wirklich jener Jamie Lidell ist, dessen Vorgängeralbum Compass von der Times als „brillant“ etikettiert wurde.
Was war der damalige Enddreißiger vor zwei Jahren geschmeidig, wie hat er gegroovt, welch süffige Mitwipplieder, die ihm den schönen Titel „Future-Soul-Wizard“ eingebracht haben, sind ihm da gelungen. Und jetzt, selbstbetitelt, mit strikt grafischem Cover? Jetzt transponiert der rührige Elektro-Kollaborateur niemand geringeren als den Altmeister Prince in die digitale Gegenwart. Und siehe da: Es ist wieder brillant.
Jamie Lidell – You Naked
Denn was the artist strictly known as Jamie Lidell mit dem artist formerly known as alles Mögliche da aus dem Genie der achtziger Jahre macht, ist eine Art Rundumsanierung mit modernen Mitteln. Gut, Prince Rogers Nelson, mittlerweile auch schon an die 60, hätte mit Jamie Lidells technischen Möglichkeiten eines vollausgerüsteten Digitalstudios anno 2012 seinerzeit womöglich den Pop nicht nur maßgeblich beeinflusst, sondern revolutioniert. Aber was sein Epigone aus Huntingdon, Cambridgeshire auf dem experimentierfreudigen Label Warp daraus macht, ist aller Ehren wert. Ist großartige Tanzmusik. Sogar mehr als das.
Schon das erste Stück namens I’m Selfish mag überraschte Hörer ein wenig arg an When Doves Cry erinnern; aber dahinter erstreckt sich eine so zeitgemäße Flächensicherheit, die nicht von zu viel Klimbim zeugt wie in diesem Genre üblich, sondern von viel Gespür für Exaktheit und Komposition.
Oder Why_Ya_Why, ein Stück mittendrin: Es kombiniert Minimal House so geschickt mit Funk und etwas Dixieland, dass man in die Tiefen seiner Struktur eindringen möchte, um wie ein Wissenschaftler darin zu forschen, danach herauszutreten und weiter zu tanzen. Oder zum Abschluss, In Your Mind, zutiefst nostalgischer Oldschool-Funk, der mit Lidells metallischer Soulstimme eine Jetztzeitigkeit erhält, dass man die Jahrzehnte durcheinander kriegen könnte.
Tut man am Ende aber doch nicht. Jamie Lidell ist Gegenwart, Prince Vergangenheit. Der Jüngere betrachtet Popmusik als das, was sie auch für sein Vorbild war: einen Genpool, den zu sortieren bisweilen ein schöpferischer Akt ist.
Das stellt beide Künstler auf eine Stufe, die ansonsten nur von Grenzüberschreitenden wie Plan B oder, nun ja: Madonna bespielt wird. Anders als bei der allerdings darf man gespannt sein, was Lidell als nächstes macht. Es könnte uns umhauen.
„Jamie Lidell“ von Jamie Lidell ist erschienen bei Warp.
Hier geht’s zu unserer Rekorder-Session mit Jamie Lidell.