Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Alle Sorgen einfach weghören

 

Matthew E. White bringt auf seinem Debüt Country-Funk, Soul und Gospel zusammen. Wer da kein Grinsen im Gesicht hat, muss was an den Ohren haben.

© Sara Padgett
© Sara Padgett

In Virginias Hauptstadt Richmond steht ein unscheinbares Einfamilienhaus aus weißem Holz, leicht versteckt hinter Bäumen. Hier wohnt Matthew E. White, dreißig Jahre alt, studierter Jazzmusiker, begnadeter Gitarrist und Sohn evangelikaler Missionare. Innerhalb einer Woche hat er auf dem Dachboden des Hauses sein Debütalbum Big Inner aufgenommen. Es ist ein Meisterwerk.

White und seiner Spacebomb House Band gelingt es auf beeindruckende Weise, den warmen Sound der Siebziger wiederzubeleben und dabei trotzdem frisch und eigenständig zu klingen. Verwurzelt ist die Musik im Süden der USA: Gospel, Country-Funk und Southern Soul vereinen sich zu einer samtig-entspannten Mischung, die sich ebenso an Stax und Motown orientiert wie an Randy Newman und Tropicalismo.

Matthew E. White – One of These Days

Die sieben Stücke wirken herrlich unzeitgemäß, lassen sich alle Zeit der Welt. Angenehm unaufgeregt lässt White Bariton und Gitarre über Streichern, Bläsern und Chören schweben. Den Unterbau liefern der Bassist Cameron Ralston und der Schlagzeuger Pinson Chanselle. Selten kam eine Rhythmusgruppe derart lässig rüber. I am a barracuda / I am a hurricane, singt White in Big Love und stößt seine Hörer in einen psychedelischen Strudel aus Saloon-Klavier, Congas, Saxofon und verzerrtem Gitarrensolo. Zwischen Händeklatschen und poppiger Hookline wirft er sich mit einer Sängerin nach Art von Call and Response die Phrasen hin und her.

Curtis Mayfield trifft auf Issac Hayes: Wer da kein Grinsen im Gesicht hat, muss was an den Ohren haben. Big Inner – ja, ein Wortspiel – ist ein Album, das es schafft, einem die alltägliche Last von den Schultern zu nehmen. Versonnen blickt man seinen Sorgen hinterher, wie sie den James River hinab zum Atlantik treiben.

Tanzbare Soulnummern, aus denen der Schweiß tropft, haben White und seine bisweilen dreißig Mitmusiker ebenso drauf wie das wunderbar altmodische Hot Toddies, das auf Whites langjährige Jazzerfahrungen verweist. Doch es gibt auch intime Momente, die einem das Herz brechen: White raunt dem Hörer ein tieftrauriges Spiritual direkt ins Ohr, mit dem er den Unfalltod seiner vierjährigen Cousine zu verarbeiten sucht.

Eine große Portion Religiosität und Lebensweisheit steckt in diesem Album. Dass der Glaube White ein wichtiger Bezugspunkt ist, zeigt sich besonders im vielschichtigen Glanzpunkt, dem knapp zehn Minuten langen Brazos. Inspiriert von den Erinnerungen des Musikforschers Alan Lomax erzählt er die Geschichte von zwei entflohenen Sklaven in Texas, die übers Wasser gehen können. Dazu Bläser, ein Gospelchor und solch ein hypnotischer Groove, dass selbst Stevie Wonder schwindlig würde.

Die Hälfte des Liedes hindurch singt White mantraartig die immer gleiche Zeile: „Jesus Christ is our Lord / Jesus Christ, He is your friend„. Und es ist nicht eine Sekunde langweilig, da muss man gar nicht gläubig sein. Vieles deutet darauf hin, dass Whites Dachboden in Richmond bald derselbe Mythos umweht wie damals Bon Ivers verschneite Jagdhütte. Die Zeit ist reif für mehr Soul. Und Matthew E. White der richtige Mann dafür.

„Big Inner“ von Matthew E. White ist erschienen bei Domino Records.