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Von Landeiern zu Partykanonen

 

Sie kennen Gernot Bronsert und Sebastian Szary nicht? Als Modeselektor spielen sie im Ausland vor Zehntausenden. Ein neuer Film dokumentiert ihren Aufstieg aus dem Berliner Speckgürtel.

© Monkeytown Records
© Monkeytown Records

Um einen Film über sich selbst drehen zu lassen, muss man wahrscheinlich ein klein wenig größenwahnsinnig sein. Damit ein solcher Film aber nicht zu einer peinlichen Bauchpinselei gerät, müssten die Auftraggeber wiederum ziemlich bodenständige, sympathische und herzensgut normale Menschen geblieben sein. Eine Quadratur des Kreises, die unmöglich erscheint. Aber Modeselektor doch tatsächlich gelingt.

We Are Modeselektor, der Film, den Romi Hagel und Holger Wick über das Berliner Elektro-Duo gedreht haben, ist kein cineastischer Meilenstein, aber doch eine solide, gelegentlich spannende und meistens recht interessante Dokumentation. In ihr zeichnen die Filmemacher den Weg von Sebastian Szary und Gernot Bronsert nach, der sie von illegalen Kellerpartys im Berliner Speckgürtel auf die großen Bühnen internationaler Festivals geführt hat.

Denn Modeselektor sind das „wahrscheinlich beliebteste Pop-Duo aus Berlin“, wie es Szary ironisch, aber auch ziemlich selbstbewusst gleich zu Beginn des Films formuliert. Dieser Aufstieg der beiden Laptop-Virtuosen vollzog sich zwar stetig über die anderthalb Jahrzehnte, die das Duo nun existiert, ist aber nichtsdestotrotz erstaunlich.

Wie konnten zwei ostdeutsche Landeier, die auf einem Dachboden in Rüdersdorf ihre ersten Partys schmissen, zum weltweit gefeierten Dance-Act aufsteigen? Das hat zum einen sicherlich damit zu tun, dass der Radiohead-Sänger Thom Yorke nicht müde wird, ein Loblied auf die beiden Berliner zu singen, und Modeselektor, obwohl hierzulande fast noch ein Geheimtipp, in Großbritannien vor Zehntausenden spielen. Das könnte aber auch daran liegen, dass Szary und Bronsert vorweggenommen haben, was Deadmau5, Skrillex oder David Guetta heute noch eine Nummer größer vorführen: Wie man mithilfe einer ausgefeilten Licht-Show und vor allem Tracks, die rhythmisch auf den Punkt kommen und doch auch wie Radiohits funktionieren, die elektronische Tanzmusik ins Mainstream-Rock-Stadionformat überführt.

Eine weitere Antwort, die der Film gibt: Die Grundlage des Erfolgs ist eben genau diese Herkunft aus dem Berliner Speckgürtel, den die beiden bis heute mental nicht verlassen haben. Bronsert und Szary sind, darin kulminieren die Aussagen von Freunden und Weggefährten, die der Film gesammelt hat, die alten geblieben. Ihre Musik funktioniert deshalb so gut, weil die Macher genauso drauf sind wie die Hörer: Provinzler, die am Wochenende einen drauf machen wollen, aber unter der Woche ganz glücklich sind mit Kleinfamilie, Häuschen und Garten.

Wie es dazu kam, zeigt der Dokumentarfilm mit den üblichen Mitteln des Genres. Aus privaten Videoaufnahmen, aktuellen Konzertmitschnitten und Interviews montieren die beiden Filmemacher die Entwicklung von den frühen, selbst organisierten Partys in verlassenen Fabriken, Kohlemühlen und Kartoffelkellern, über den ersten Plattenvertrag bei Ellen Alliens Label Bpitch Control bis zum eigenen kleinen Imperium, das heute im komfortablen Nightliner unterwegs ist wie eine Rockband alten Schlages.

Aber nur am Wochenende, denn spätestens Montag geht es zurück zu Frau und Kind. Der Film ist dabei, wenn Zehntausende mitsingen, aber auch, wenn Szary eine Schubkarre über seine Eigenheimbaustelle schiebt oder Bronsert Holz hackt. Er folgt ihnen zum Joggen in den Wald, kriecht in die Betten des Tourbusses und begleitet sie zu den Eltern, die sich an die Anfangstage erinnern dürfen. Bronserts Mutter berichtet, dass ihr Sohn kaum laufen konnte, aber schon mit den Holzklötzchen den Rhythmus schlug, der Klavierunterricht später aber ein „großes Fiasko“ wurde. Szarys Mutter erzählt, dass ihr Sohn noch unmusikalischer war, sie dann aber später nach Mitternacht auf den Dachboden kletterte, weil dort mal wieder eine Party lief, und darum bat, wenigstens den Bass herunter zu drehen. Zwei Jahrzehnte später, das beweisen die Konzertaufnahmen, haben Modeselektor immer noch denselben Spaß an ihrer Musik.

Die DVD „We Are Modeselektor“ ist erschienen bei Monkeytown/Rough Trade