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Tanz die Abbruchparty

 

Neue Zutaten für den Skandalnudelsalat: Sie nennen sich The Toten Crackhuren im Kofferraum und machen klugen Blödsinn, den es sich zu hören lohnt.

© Paolo Costanzo
© Paolo Costanzo

Es gibt da einen Komiker, der beschreibt die niedrige Erregungsschwelle des Publikums wie folgt: Falls sich die Zuschauer-Künstler-Bindung mal löse, das Lachen also, wenn überhaupt, im Halse stecken bleibe, rufe er einfach „Ficken“, zusammenhanglos, aber laut. Der Effekt: Gelächter, immer, ganz einfach. So einfach, dachte sich 2005 auch eine Reihe Berliner Brachialkunstfiguren mit Brachialkunstnamen, muss das doch auch in der Musik gehen. Also nannten Luise Fuckface und Dr. Lynn Love ihr Kollektiv, das zwischendurch auf ein Dutzend Gleichgesinnter angeschwollen war – Achtung Affront! – The Toten Crackhuren im Kofferraum.

Wahnsinnig heftig und voll krass. Aber wirksam. Denn so, wie Femen mit nackten Brüsten fürs Gute im Aufmerksamkeitspool tauchen oder Mario Barth mit seinen Zoten für Profit, so haben sich T.C.H.I.K., wie man den Klarschriftmüll offiziell abkürzen darf, seit ihrem Debütalbum Jung, Talentlos Und Gecastet vor drei Jahren auf den Highway einer hauptstädtischen Undergroundberühmtheit gemacht. Den teert nun auch das Nachfolgeralbum mit fäkaler bis obszöner Sprache zu dem, was T.C.H.I.K. „Electro-Riot-Dance-Pop“ nennen. Dass es Mama, ich blute heißt, ist da noch die subtilste Form gezielter Skandalisierung.

Die ist nämlich ähnlich subtil wie ein Tag RTL2 mit Eisbein, also eher plump und billig und blöde und berechenbar und irgendwie, tja, geil. Denn mit ihrem digitalisierten NDW-Retro-Trash zwischen Fräulein Menke und Chicks on Speed trifft die beliebte Vorgruppe anderer Skandalnudeln, etwa K.I.Z., voll den Nerv der Zeit.

Prekariatshymnen wie Geniale Asoziale („so smart und arbeitsscheu“) bedienen die Generation „Nutzlos und Spaß dabei“, Pseudoballaden wie Du fehlst mir („fickst du grad die Nachbarin?“) sind alternativer R ’n‘ B-Mainstream. Der Tempotechno von Dreckige Wäsche („das Waschmittel riecht so schön nach Gossip“) stillen das Bedürfnis nach sozialkritischem Subtext. Und in Verrückt bleiben, bitte („dehydriert, verhaltensgestört“) wird das Ganze mit den üblichen Hip-Hop-Elementen angereichert.

T.C.H.I.K. bearbeiten alles und jedes im Spektrum elektronischen Punkpops. Sie sind Dienstleister der steigenden Nachfrage nach Sinnlosigkeit im Gestus bewusster Inkompetenz oder wahlweise: Stillosigkeit im Gestus der Sinnüberfrachtung. Quatsch mit Hintersinn, ziemlich tanzbar, abbruchhausfetentauglich.

Ob dahinter nun ein emanzipatives Statement steht, die weibliche Eroberung des Musikbusiness mit den Mitteln der Überdrehung männlicher Rituale – keine Ahnung. Wahrscheinlich wissen das Szenegestalten, die sich Pseudonyme der Art von Eichelmeyer und Triebeltäter zulegen, selbst nicht so genau. Vielleicht lassen sie diese Musik ganz arglos einwirken wie eine Impfung, die ja ihrerseits Erreger ist. Vielleicht ist das alles aber auch ein geniales Konstrukt intellektueller Unterwanderung.

So oder so macht es großen Spaß, sich diesen Blödsinn anzuhören, gerade betrunken, gerade live, was bisweilen zu grotesken Dadahappenings ausartet. Man muss ja nicht jedem Mist auf den Grund gehen.

„Mama, ich blute“ von The Toten Crackhuren im Kofferraum ist erschienen bei Destiny.