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Soul ist eine Qual

 

Selten klang Mühsal so großartig: John Legend will seinem Namen und dem R ’n‘ B alle Ehre machen und stellt sich in eine Reihe mit Marvin Gaye und Stevie Wonder.

© Sony
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Die Bedürfnisse sind verschieden. Der eine wünscht sich Glück, der andere Geld und die Älteren unter uns wünschen sich vor allem Gesundheit. John Legend fällt da aus dem Rahmen. Er wünscht sich, erzählte der Musiker kürzlich einer britischen Zeitung, „ein bisschen mehr Qual“. Man muss das verstehen: Legend ist zwar neunmaliger Grammy-Gewinner, millionenschwer erfolgreich, verdammt gutaussehend und demnächst mit einem Model verheiratet. Aber als Soulsänger eben in einem Branchensegment tätig, dessen Geschäftsgrundlage in der Umsetzung von Leid in Tönen besteht. Ein paar zusätzliche Qualen, so hofft Legend, würden ihn zu einem sogar noch besseren Künstler befördern.

Legend, der vor 34 Jahren als John Roger Stephens auf die Welt gekommen ist, mag das Leiden nicht erfunden haben, aber anlässlich seines neuen Albums Love In The Future lässt sich mal wieder feststellen: Im Simulieren ist er zweifellos einsame Klasse. Es gibt nicht viele Stimmen im aktuellen R’n’B, die so mühelos das Spektrum vom notorischen Verführer bis zum väterlichen Sugardaddy, vom gottesfürchtigen Gospel bis zum geschmeidigen Sextalk, vom satt brummenden Bariton bis hoch ins hysterische Falsett abzuschreiten vermögen.

Diese Stimme, die sich mithilfe höchster handwerklicher Präzision durch die Bergwerksstollen des Gefühlslebens arbeitet, steht immer im Mittelpunkt, selbst wenn ein Song wie Open Your Eyes fröhlich dahintuckert, als stamme er aus der Motown-Werkstatt der glücklichen Sixties. Wie Klassiker klingen auch die wundervoll spartanische Pianoballade All of Me oder Wanna Be Loved, eine süffige Reminiszenz ans goldene Disco-Zeitalter.

Überhaupt wirken alle Songs sehr viel organischer als das, was Legends zeitgenössische Kollegen wie Frank Ocean oder Justin Timberlake aus ihren Rechnern herausholen. Natürlich entstand auch Love Of The Future vor allem am Computer, aber Legend setzt sich demonstrativ immer wieder ans Klavier, das er als vierjähriges Kind in Ohio zu spielen begann.

Denn so makellos und auf Hochglanz er auch poliert ist, Legends Soul misst sich nicht an der heutigen Konkurrenz, sondern stets an den klassischen Vorbildern – voller Selbstbewusstsein, aber auch mit einer angemessenen Portion Demut. „Man kann Musik nicht machen“, sagt Legend, „ohne eine gewisse Wertschätzung für das Erbe“.

Nicht jedes der 20 Stücke auf Love Of The Future hat das Zeug, selbst zu einem Klassiker zu werden. Doch Legend und seine Produzenten wissen zumindest sehr gut, wie ein Klassiker zu klingen hat. Selbst, wenn ein Song wie Save The Night aus den beim Tonschnitt eines billigen Horrorfilms abgefallenen Restschnipseln zusammengestückelt zu sein scheint, wirkt er doch trotzdem groß und teuer, erhaben und edel.

Die eigene Kunst nicht unter Wert zu verkaufen, das ist eine Frage des Respekts. Den ist Legend, so sieht er es, seinen Vorgängern schuldig. Schließlich stellt er sich in eine Traditionslinie mit Marvin Gaye und vor allem Stevie Wonder.

Die Ehrfurcht mischt sich allerdings mit der unüberhörbaren Behauptung der eigenen Bedeutsamkeit, die bisweilen die Grenze zum Größenwahn überschreitet: „I had a dream like Dr. King, I had a song to sing„, schmachtet Legend, als wären seine Songs ebenso bahnbrechend wie der Kampf um Bürgerrechte, den Martin Luther King einst kämpfte. Dazu passt auch John Roger Stephens‘ Pseudonym, das lange, bevor er bekannt wurde, ein Spitzname war, heute aber zum Antrieb geworden ist: „Mein Job ist es, diesem Namen gerecht zu werden“, sagt John Legend. Selten wohl klang Mühsal so großartig.

„Love Of The Future“ von John Legend ist erschienen bei Columbia/Sony.