Vielleicht das beste Debütalbum des Jahres: Der Orchestersoul von Laura Mvula feiert den stilvollen Stilbruch, gibt dem Pop ein intelligentes Gesicht.
Viel zu verkopft, heißt es meist, wenn Popmusik sich ihren Mitteln bewusst wird und mit ihnen spielt. Wenn hörbar wird, dass der Komponist seinen Titel verdient hat. Dass er eben nicht nur Akkorde aneinanderfügt und ein paar passende Melodien drüberlegt, sondern weiß, wie man musikalische Affekte kontrolliert, wie man Liedtexten eine klingende Entsprechung gibt und einem Song eine Dramaturgie. Das ist nicht verkopft, sondern die Voraussetzung für gute, interessante Popmusik. Ohne Hirn geht es nicht, der Bauch hat schließlich keine Ohren.
Natürlich ist es unerheblich, wie und wo Musiker ihr Handwerk lernen. Manche bringen sich alles selbst bei, andere gehen auf die Akademie. Laura Mvula stammt aus einer sehr musikalischen Familie und studierte Komposition am Birmingham Conservatoire. Beides hört man ihrem Debütalbum an, das nun in Deutschland erschienen ist.
Auf Sing To The Moon greift sie etwa den energischen Jazz-Soul von Jill Scott auf, erweitert ihn um sinfonische Opulenz zu einem seltsam vertrauten Neuklang. Darin schillert ihr ganzer Erfahrungsschatz: Die heute 27-jährige Mvula hat in der A-cappella-Gruppe ihrer Tante und im Gospelchor ihrer Cousine gesungen, gründete eine Soul-Band, arbeitete als Aushilfsmusiklehrerin und hat nach dem Studium für einen Laienchor ein Werk geschrieben, das sich als unaufführbar herausstellte. Über Wasser hielt sie sich als Rezeptionistin beim Birmingham Symphony Orchestra. Und sie heiratete ihren sambischen Kommilitonen Themba, ein klassischer Bariton.
All diese Einflüsse orchestriert Laura Mvula in den zwölf Stücken auf ihrem ersten Album. Die chorische Engführung der Hintergrundstimmen, die weichen Streichersätze und der Wille zum eigensinnigen Arrangement mit unzähligen Rhythmuswechseln. Wer sich sicher eingekuschelt wähnt in ihrem Orchestersoul wird von jetzt auf gleich in eine andere Gemütslage geschubst: Beweg Deinen Hintern!
Trotz aller Komplexität bleibt Mvulas Musik Pop, wenn auch mit Pauken und Trompeten. Hanebüchen sind alle Vergleiche mit Adele, Amy Winehouse, Jessie Ware oder Emeli Sandé, die die begeisterte britische Presse angestellt hat. In ihrer Eigenwilligkeit und Liebe für Harfenklänge ähnelt sie eher Joanna Newsom. Laura Mvulas Stimme stellt noch einen anderen Kontext her: Kräftig, geradeaus, fast naiv in ihrer Klarheit erinnert sie an die große Nina Simone. Mvula hält sich fern von überzuckerten Melismen, vom Hochleistungsgeschnörkel mancher Kolleginnen. Allenfalls am Ende ihrer Phrasen flattert ein kurzes Vibrato in den Ton, in feinster Jazz-Manier.
Mvulas Orchester-Soul-Jazz-Pop wirkt vor allem durch seine Originalität, die England seit einem Jahr in große Aufregung versetzt. Endlich Evolution im Pop! Sie stand auf der BBC-Liste der wichtigsten Newcomer 2013, war nominiert für den Kritikerpreis der Brit Awards, die Platte erreichte die Top Ten und ist nun auch noch für den Mercury Prize als bestes Album des Jahres nominiert.
Sie hätte ihn verdient, setzt sie doch neue Standards in einem Genre, das in letzter Zeit selten aus seiner Retromanie ausbricht. Den stilvollen Stilbruch hat Laura Mvula nicht geplant, sie hat ihn einfach komponiert. So verkopft kann das also gar nicht sein.
„Sing To The Moon“ von Laura Mvula ist erschienen bei Sony Music.