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Kurzfilme mit Tanzbein

 

Die Berlinale braucht Musik? Hier kommt das neue Album von Breton: Aus einem Londoner Filmemacherduo wurde ein Quintett, das Pop als Kunst versteht.

© Cut Tooth
© Cut Tooth

Die Metapher ist des Musikkritikers beste Freundin. Aber selbst die treueste Begleiterin wird irgendwann einmal langweilig. Deshalb ist es mittlerweile nicht mehr gern gesehen, wenn Musik mit Film verglichen wird. Die Formulierung, dieser Song besitze eine cinematografische Qualität, gehört heutzutage ebenso in die Asservatenkammer wie die Behauptung, jenes Album sei der Soundtrack zu einem Film, der bloß noch nicht gedreht wurde.

Immerhin: Wenn es um Breton geht, darf man die angekauten Nudeln nochmal ins Wasser werfen. Ja, man muss sogar. Schließlich stellte sich bei dem in London beheimateten Quintett immer die Frage: Ist das eine Band oder ein Multimedia-Künstlerkollektiv?

Als sich Roman Rappak und Adam Ainger 2005 kennenlernten, machten sie zusammen Musik und drehten zusammen Filme. Dabei blieb es, als sie zwei Jahre später Breton gründeten. Die visuelle Umsetzung der Musik war stets ebenso wichtig wie die Musik selbst. Und wenn sie für andere arbeiteten, dann entwarfen sie für Lana Del Rey, Sinead O’Connor oder Tricky eben nicht nur ein neues Sound- sondern gleich auch noch ein Video-Design.

Man darf also ruhig mal behaupten: War Room Stories, das zweite Album von Breton, ist ziemlich filmisch geworden. Die Band spielt meisterhaft mit Stimmungen, ist allerdings entschieden songorientierter als noch auf Albumdebüt Other People’s Problems. Vor allem der Eröffnungssong Envy ist ein blitzsauberes Stück Elektropop mit signalhaften Synthie-Hooks, einem schmucken Dance-Beat und einer Refrainmelodie, die vor keinem Gehörgang Halt macht.

Diese Lust am Pop leben Breton auch im weiteren Verlauf von War Room Stories immer wieder, aber meist nur impulsartig aus. Envy bleibt das einzige Stück, das der perfekte Drei-Minuten-Popsong sein möchte. Von nun an erscheinen zwar immer wieder grandiose Melodien, verlieren sich aber dann auch in atmosphärischen Settings. Songs, die als hübsches Indiepopstück beginnen, können sich unvermittelt in einen Dorfdisco-Knaller verwandeln und schließlich doch als Field-Recording-Knistern enden. Funky Bässe dürfen eine zeitlang die Regie übernehmen, lösen sich dann aber widerspruchslos auf in ein Hallen und Wabern und Knuspern.

Man darf sich War Room Stories, das Breton in Berlin aufgenommen haben, im mittlerweile nahezu sagenumwobenen alten DDR-Funkhaus in der Nalepastraße, aber weder als anstrengendes Avantgarde-Geschwurbel noch als esoterisches Wellness-Wummern vorstellen. Pop wird hier bloß eben nicht eindimensional verstanden, sondern als Kunstform, die nur dann lebendig bleibt, wenn sie sich ständig erneuert. Trotzdem, und das ist wohl das Erstaunlichste an War Room Stories, führt die stilistische Vielfalt nicht etwa zu ungelenker Richtungslosigkeit. Die einzelnen Stücke klingen nicht wie Experimente, sondern – um die alte Metapher ein letztes Mal zu bemühen – wie elegante, bunt schillernde Kurzfilme, in denen wie selbstverständlich Genregrenzen nicht mehr zu gelten scheinen.

„War Room Stories“ von Breton ist erschienen auf Cut Tooth/Believe/Soulfood.