Sind die denn irre? Achso, nein, das ist Punk! Unter dem Namen Nuclear Raped Fuck Bomb vertreiben vier alte Helden ihre technoide Gaga-Musik.
Das Subtile am Irrsinn ist seine Hinterlist. Der Irrsinn kommt selten von vorn, er schleicht sich lieber an. Der Irrsinn platzt nicht durch die Tür, er klopft zuvor zart an. Der Irrsinn ist heimtückisch, subtil, ein Blender. Nuclear Raped Fuck Bomb wäre so gesehen kein schlechter Name für den Irrsinn, diese unheimliche Kraft aus dem geistigen Abseits, die das Gehirn vergewaltigt.
Er passt aber auch bestens zu einem Musikprojekt, das sich zunächst mit emotionalem, fast ergreifendem Rockgitarrengeplänkel in die Ohren stiehlt, nach diesem kleinen Täuschungsmanöver den Irrsinn allerdings zum Strukturprinzip erhebt. Auf N.R.F.B. gekürzt macht es, was seine Mitglieder, allesamt Großinquisitoren des strukturellen Irrsinns, eben so machen, wenn sie sich zu einem ihrer Musikprojekte zusammenfinden: Sie vermengen Genialität und Aberwitz zu einer Art Punk, der weit näher am ethymologischen Ursprung der Gattungsbezeichnung ist, als es jeder Irokese, jede Sicherheitsnadel, all die Diskopunkapplikationen heutzutage sein könnten.
Und so wird Nuclear Raped Fuck Bomb, das Debütalbum von N.R.F.B., dem auch im Erfolgsfall nicht zwingend ein weiteres folgen muss, weil Kunst ja nun mal dekonstruktiv zu sein hat, um die Gnade der Subkultur zu finden, so wird also diese zutiefst verstörende Platte zur Quintessenz des Punkrock: Niemandes Freund, schon gar nicht Gottes. Niemandem zu Gefallen und gerade deshalb brillant. Dissonant bis zur Schmerzgrenze, aber nicht wahllos, nicht hirnlos, sondern ganz einfach virtuos wie der Stolper-Stunt des ersten Eiskunstlaufs im Film, der perfekte Eislaufkunst erfordert.
Herausgekommen sind dabei ganze sieben zum Teil sehr, sehr kurze (Punk eben) Stücke, die nach der anheimelnden Ouvertüre bald klingen, als würde Blümchen mit Motörhead, sagen wir, New Model Army für ein Scooter-Konzert dekodieren. Es ist die totale Off-Kunst, wenn das Titelstück Lemmy-Kilmister-Gedächtnis-Grunzen unter eine Art Speeddancepop legt, wenn Still here sodann zwischen Emocore und Gabbatechno oszilliert, wenn jemand im finalen Schaffer textlich zur Flamenco-Gitarre in eine Gletscherspalte zieht und dort auf die nächste Endmoräne wartet oder Kochwasser aus dem Internet trinkt.
Steckt darin noch irgendein Sinn, eine tiefere Botschaft, überhaupt: Musik? Das tut es. Man muss sich nur drauf einlassen, was Thomas Wenzel (Die Sterne) und Jens Rachut (Oma Hans) da anstellen, wenn sie nach ihrem vorigen Gaga-Projekt Kommando Sonne-nmilch diesmal die Kollegen Mense Reents (Goldene Zitronen) und Frankie Stubbs (Leatherface) zum kollektiven Wahnsinn Hamburger Bauart bitten. Keiner von ihnen steht schließlich im Verdacht, Irrsinn um des Irrsinns Willen zu machen, noch weniger aber, kommerziell zu konzipieren.
Sie alle eint der unbedingte Wunsch, Musik genau in jene Bestandteile aufzulösen, deren Summe nur noch sich selbst oder dem Wunsch der Masse dienen. Nuclear Raped Fuck Bomb ist also alles andere als verspielter, selbstgefälliger Blödsinn allein, seine Musikalität ist ja nicht minder gewaltig als seine Wirrnis. Beides korrespondiert, kommuniziert, zeigt uns also: Wir können auch anders! Und Anderssein, ist das nicht Punk?
„N.R.F.B. – Nuclear Raped Fuck Bomb“ ist erschienen bei Major Label.