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Für die Galerie überm Club

 

Roman Flügel, ein Großer des deutschen Techno, beeindruckt auf „Fatty Folders“ mit makellosen Fingerübungen. Ein geschmackvolles Album, doch bisweilen fehlt die zündende Idee.

© Dial

Wer sich seit Mitte der neunziger Jahre einigermaßen sorgfältig mit elektronischer Musik beschäftigt, wird Roman Flügel immer wieder begegnet sein. Mal unter den Namen Eight Miles High und Soylent Green oder in Kollaboration mit Jörn Elling Wuttke als Sensorama und Alter Ego. Zu den Superstars der Szene gehört der DJ, Produzent oder Labelbetreiber Flügel aber dennoch nicht. Weder inszeniert er sich als ibizenkische Techno-Gottheit, noch als verdaddelter Minimalprimus. Als Mitbegründer des legendären Frankfurter Plattenladens Delirium und des hervorragenden Labels Playhouse, hat Flügel Techno in Deutschland dennoch von Anfang an mitbekommen. Mit Rocker und Betty Ford hatten er und sein Kollege Wuttke sogar zwei Hits, ansonsten konzentrierte man sich auf das Handwerk. Dass Fatty Folders nach diesen ganzen Jahren nun tatsächlich das erste Album ist, das unter Flügels bürgerlichem Namen beim Hamburger Label Dial erscheint, will man daher zunächst gar nicht so recht glauben.

Die Musik auf Fatty Folders ist weit entfernt von den krachenden Technostücken, mit denen Alter Ego einst durch die Clubs frästen, sondern knüpft eher an die verspielte Zartheit Sensoramas an. Sehr angenehm: Es geht eigentlich nichts schief auf diesem Album. Verspieltes, warm Pluckerndes und sanft Schiebendes lehnen sich aneinander wie gute Freunde nachts in der U-Bahn. Man rempelt sich mal an und knufft sich in die Seite – aber richtig in die Wolle kriegen? Nie! Fatty Folders hebt selten richtig ab, wirkt aber immer leichtfüßig und behutsam. Das Cover zeigt abstrahierte, grafische Flächen, die sich wie farbige Stoffbahnen im Wind bewegen. Klingen andere House- und Technoplatten gern wie schwere Brokatgardinen, ist Fatty Folders ein luftiger Vorhang.

Transparent hat Flügel seine Arrangements angelegt. Häufig sind nicht mehr als fünf, sechs Elemente nebeneinander zu hören. So ist The Improviser ein angetäuschtes Rave-Stücke mit knarzig aufmuckendem Bass, dessen Spannung durch ein folkloristisches Klatschen ins Komische gedreht wird. Einmal fährt ein launig genöltes „Yeah“ zwischen den präzisen Rhythmus wie ein Besucher ins falsche Amtszimmer.

Ansonsten ist die Platte klar beschildert. Als da wären: formalistische House-Wehmut (How To Spread Lies), die treibende Techno-Peitsche (Rude Awakenings), minimalistische Vertracktheiten (Lush Life Libido), kühle Disco-Anleihen (Deo), dubbig-verspulte Piano-Miniaturen (Song With Blue) und melancholischer Klingelton-Ambient (Don’t Break My Heart). Sogar lupenreinen Krautrock kann sich Flügel leisten: Krautus verneigt sich vor Epigonen wie Kraftwerk und Can. Spuren hinterlässt die amüsante Hommage nicht; nach zweieinhalb Minuten ist sie irgendwie vorbei.

Und hier fällt ein leichter Schatten durch den Vorhang. Fatty Folders ist elektronische Musik mit den besten Manieren und im Sonntagsstaat. Wäre das Attribut nicht für Couchgarnituren oder Kleinkunst aus dem Odenwald reserviert, könnte man diese Platte tatsächlich „überaus geschmackvoll“ nennen. Trotzdem hinterlässt das Album den Eindruck einer – man muss das so betonen – geradezu erschütternd makellosen Fingerübung. Roman Flügel kann es. Dennoch fehlt der Platte die zündende Idee, der griffige Überbau, das große Ganze, das einen packt und hinfortzieht; auch wenn man sich zwischendurch fürchtet, wohin es einen da verschlägt. So folgt man keiner Geschichte, sondern begnügt sich eher damit, die elf Stücke wie sorgfältig gehängte Exponate nacheinander abzugehen. Man könnte es so sagen: Fatty Folders ist Musik für die Galerie über dem Club.

P.S.: Der Autor sichert sich hiermit alle Rechte an dem Namen Fatty Folders für eine frivol-witzige Vorabendserie über eine tapsige Rechtsanwältin in Berlin.

„Fatty Folders“ von Roman Flügel ist bei Dial erschienen.