Eines der besten Alben des Jahres: Rustie aus Glasgow brennt auf seinem Debütalbum „Glass Swords“ ein Effektfeuerwerk ab, das Hip-Hop, Funk und Dubstep in schönsten Farben schillern lässt.
Der Letzte macht das Licht an. Im Falle des Glasgower Produzenten Russell Whyte alias Rustie muss es allerdings schon eine 3500-Watt-Fluchtlichtanlage sein. Sein endorphingetränktes Debütalbum Glass Swords ist derart gleißend ausgefallen, dass man Angst um die Stromrechnung des Schotten haben muss. Das Geld wäre jedenfalls gut angelegt: Rustie ist einer der letzten Geniestreiche dieses Jahres gelungen.
Die Platte beginnt wie der Soundtrack zu einem überdimensionalen Science-Fiction-Computerspiel: Hard-Rock-Gitarrensoli perlen von glitzernden Synthesizer-Flächen. Alles wirkt titanisch und hell, als ob eine digitale Sonne aufginge. Überhaupt: Jeder Klang auf diesem Album ist wie in strahlendes Licht getaucht. Ein hochkomprimiertes Feuerwerk in 42 Minuten. Aufpoliert und bestechend klar klingen Rusties technoide Oberflächen, darunter pumpen und wogen zentnerschwere Bässe.
Dubstep, Crunk, 8-Bit Music, Hip-Hop und Achtziger-Jahre-Funk sind die wichtigsten Versatzstücke von Glass Swords. Aber was das Album so großartig, bisweilen atemberaubend macht, ist die diebische Freude am Exzess. Wann klang eine Platte seit Daft Punks Discovery zuletzt derart überdimensioniert, wurde die Pracht des vermeintlich Billigen und der kitschigen Euphorie so rücksichtslos zelebriert?
Ständig blitzt, knallt, funkelt es aus allen Ecken. Bässe rollen wie psychedelische Einsatzkommandos heran, um in tausend Scherben zu zerspringen. Beschleunigte Rave-Klaviere, hüpfender Slap Bass, überhitzte Streicher und zuckrig-süsse Gesangsschnipsel schieben die Musik bis an den Rand der Hysterie. Stücke wie Ultra Thizz, Globes und Hover Traps sind episches Digi-Drama. Immer wieder stoppt Rustie den Beat, ohrenbetäubende Akkord-Wellen türmen sich auf und dehnen den Spannungsmoment bis ins Unerträgliche.
Und bevor es dann so richtig losgeht und alle Dämme brechen, hängt die Musik für eine Sekunde atemlos in der Luft. Ein Peitschenschlag, vier kurze Beats. Der Rest ist galaktischer Funk aus Bass, Bits und Bytes. Dass Rustie die zwölf Stücke knackig-kurz hält, ist nicht nur dramaturgisch geschickt, sondern zudem überaus effektiv. Die Spannung lässt nie nach, von Überdruss angesichts der Effektschlacht keine Spur. Dafür sorgen auch die vielen atmosphärischen Intros und Überleitungen. Glass Swords geht das Adrenalin nie aus.
Streckenweise fühlt es sich an, als ob man einen japanischen Endgegner bekämpft, während man direkt in die Sonne blickt und ringsherum Leuchtraketen in die Luft gehen. Der Einfluss von Videospiel-Soundtracks ist in jeder Sekunde des Albums zu hören. Nicht zuletzt weil Rustie selbst kleine Versatzstücke wie aus Spielen wie Legend Of Zelda: Ocarina Of Time einbaut. Und sieht Rusties Logo dem der legendären Nintendo-Serie nicht täuschend ähnlich?
Selbst die Songtitel lesen sich wie Beschreibungen einzelner Level: City Star, Death Mountain, Ice Tunnels. Jedes Lied kommt einem Videospielszenario gleich. Wie viele Produzenten des UK-Bass und Dubstep hat auch Rustie die funktionale und zugleich hochemotionale Qualität der Spielemusiken erkannt. Weil sich echte Emotionen nicht in Pixel übersetzen lassen, muss die Musik umso mehr leisten. Hier liegt die eigentliche Stärke von Glass Swords: Inmitten des Effektfeuerwerks hat Rustie viele feine, melancholische Melodien verankert. Herzzerreißend sind die Gesangssamples im brachialen Cry Flames, das schaurig-schöne After Light erinnert mit seinen gebrochenen R’n’B-Vocals an die Stücke des Dubstep-Helden Burial.
Das Album endet mit Crystal Echo, zugleich einem der besten Stücke auf Glass Swords. Noch einmal hochgedrehter Sci-Fi-Soul, flirrender Unterwasser-Trance. Der Synthesizer weint zum Abschied. Erschöpft und berauscht fliegen wir in den gepixelten Sonnenuntergang. Am Ende besitzt man nicht nur noch alle Leben, sondern auch 10.000 Bonuspunkte. Reset please.
„Glass Swords“ von Rustie ist bei Warp erschienen.