Justin Timberlakes Comeback hätte das wichtigste des Jahres werden können. The 20/20 Experience klingt allerdings eher nach einem Best-Of-Album als nach progressivem R’n’B.
Es hätte bedeutungsvoll werden können: Justin Timberlake, der letzte König des Pop, der letzte männliche Star der Branche. Einer, der nach Michael Jacksons Tod und Robbie Williams‘ musikalischer Frührente das Zepter in der Hand hält neben all den Königinnen, die die Ländereien des massentauglichen und doch progressiven Radiopop unter sich aufgeteilt haben. Einer, der die Teenies mit schwülem R’n’B begeistert und die Älteren mit Ausflügen in immer neue Soundwelten herausfordert.
Als Timberlake im Januar, wenige Tage nach David Bowie, ein neues Album ankündigte, freuten sich viele auf das wichtigste Comeback dieses Jahres. Es sollte perfekt werden, hatte Timberlake in der Videobotschaft versichert. Nach fast sieben Jahren Pause ist nun The 20/20 Experience, seine dritte Platte, erschienen. Und sie ist gut, aber bei Weitem nicht bedeutungsvoll.
Der einstige Boybandstar, mittlerweile umtriebiger Produzent, Talkshowgast und ab und zu Schauspieler, beherrscht das R’n’B-Handwerk wie kaum ein Zweiter. Das hat er mit den beiden Alben Justified (2002) und FutureSex/LoveSounds (2006) sowie meisterhaften Popsongs wie Cry Me A River oder Summerlove bewiesen. Mit dem Mastermind Timbaland an seiner Seite entwickelte er eine unverwechselbare Mischung aus kleinteiligen, mal klöternden, mal fettbratzigen Rhythmen, süßlichem Gesang und quäkenden Zwischenkommentaren.
Besonders das letzte Album schrammte in seiner Anzüglichkeit so scharf am Weiße-Hosen-Bartdesign-Trash vorbei, dass es ein großes Vergnügen war. „Schmutziges Mädchen, siehst Du die Handschellen? Ich bin Dein Sklave.“ Zeilen wie diese aus Sexy Back hatten einen virilen Charme, der sich den Regeln des Genres einerseits anpasste und zugleich mit ihnen spielte.
Justin Timberlake ist erwachsener geworden, inzwischen 32 Jahre alt. Er trägt jetzt Suit & Tie, das hört man The 20/20 Experience an. Heute kann er sich auch in angezogene Frauen verlieben (Dress On) und muss niemandem mehr etwas beweisen. Er macht Musik, die ihm Spaß macht, die aber nichts will. Das ist der Soundtrack zum Leben zwischen Restaurant und Club, SUV und VIP, Decke und Laken. Dass der R’n’B mittlerweile gelernt hat, Geschichten zu erzählen (man höre nur Frank Ocean zu), scheint ihn nicht zu interessieren. Das ist wahrlich kein Vergehen, aber es hätte den Songs zumindest inhaltliche Relevanz verliehen.
Denn stilistisch bleibt alles beim Alten: warme Soulsamples, funky Bläser, ein paar Arabesken und Punjab-Fetzen, wippende Hip-Hop-Beats, Besuch von Jay-Z und Timbaland. Dazu Zuckerwattegeigen und Timberlakes sauber phrasierende Stimme. Es sind die bekannten Elemente in anderer Anordnung.
Einzig untypisch ist die Länge der Songs – sieben von zwölf Stücken sind länger als sieben Minuten: Daddy bastelt in seinem Hobbykeller und möchte nicht gestört werden. Was früher in kurzen Breakdowns abgehandelt wurde, darf jetzt in aller Ausführlichkeit ausgespielt werden. Immerhin bleibt dadurch das Album auch nach mehrmaligem Hören interessant, während die verschmockte Radiosingle Mirrors eher an den Hand-aufs-Herz-und-ins-Publikum-Gestus der Backstreet Boys erinnert.
Progression ist anstrengend, die Mühe möchte sich Timberlake offenbar nicht machen. So ist The 20/20 Experience nicht viel mehr als ein Best Of Justin aus neuen Songs. Schade, aber der King of Pop hat vorerst keinen Thronfolger.
„The 20/20 Experience“ von Justin Timberlake ist erschienen bei Sony Music.