Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Sie pfeift auf Pop

 

An der Kirchenorgel sitzt eine junge Schwedin und singt wie Kate Bush in ihren besten Zeiten: Anna von Hausswolffs zweites Album ist wahnsinnig gut.

© Anders Nydam
© Anders Nydam

Auch Anna von Hausswolff drückte einmal die Schulbank. Doch die kleine Anna war schon immer anders als andere Kinder. Andere Kinder basteln im Rahmen ihres Schulprojekts dreidimensionale Chemie-Modelle oder drehen einen Film über die Schulkantine. Die junge Anna von Hausswolff befragte stattdessen Mitschüler, wie die sich ihren eigenen Tod vorstellen – und für jede dieser Zukunftsvisionen schrieb sie die passende Musik.

Zwei dieser Stücke, Epitaph of Theodor und Epitaph of Daniel haben es nun auf Ceremony geschafft, das zweite Album der schwedischen Musikerin, die ihre Musik schon einmal als „funeral pop“ bezeichnet hat. Tatsächlich kennt die mittlerweile 26-Jährige – auch wenn sie nicht ehemalige Mitschüler würdigt – nur ein Thema: den Tod.

Funeral For My Future Children oder No Body heißen weitere Stücke, die musikalisch folgerichtig klerikal umgesetzt werden. Das Album beginnt mit einer wie körperlos im Raum schwebenden Kirchenorgel, die erst nach fast zwei Minuten mit einem stoischen Marschrhythmus unterlegt wird, zu dessen Pulsschlag sich der Trauerzug in Bewegung setzt. Im weiteren Verlauf mag die Instrumentierung vorsichtig erweitert werden, mag sich durch das epische Deathbed gar eine fiese elektrische Gitarre graben, mögen Stücke wie No Body sich in Klangexperimenten verirren oder andere wie Mountains Crave oder Liturgy of Light sogar fürs Popradio tauglich erscheinen: Im Zentrum aber steht eindeutig die Orgel, die von Hausswolff, die mittlerweile in Kopenhagen lebt, in der Annedalskyrkan in ihrer Heimatstadt Göteborg gefunden und in neun der 13 Stücke des Albums verwendet hat.

Darüber singt von Hausswolff mit einer Stimme, so klar und emotionslos, als wäre sie selbst in Bann geschlagen von der übermenschlichen Mächtigkeit des Orgelklangs und stünde erschüttert vor seinen Untiefen. Die Melancholie wird zwar bis ins Letzte ausgekostet, verkehrt sich aber niemals in Wehleidigkeit. Die Empfindsamkeit wird nicht als salbungsvoll entlarvt und selbst das dick aufgetragene Pathos verkommt kaum zur Pose. Das ist, wenn man eine Beerdigung beschallt, tatsächlich eine erstaunliche Leistung.

Der Hang zum Weihevollen scheint sich momentan gerade zum Trend zu entwickeln. Das Publikum liebt den ebenfalls orgelgestützten Pathos-Pop von Woodkid, die Kritiker begeistern sich für die mit einem Carillon eingespielten Klangskulpturen von Pantha Du Prince. In den Charts haben sich bereits Vorläuferinnen von Anna von Hausswolff etabliert, sangesfreudige Melancholikerinnen wie Lykke Li oder Joanna Newsom, Nina Kinert oder CocoRosie. Die tragen das Haar meist lang, haben nicht selten ein paar prägende Hippie-Eltern vorzuweisen, singen oft Texte, die aus dunklen Zwischenreichen zu stammen scheinen, und geben bisweilen eine gewisse Kate Bush als Ahnherrin an.

Auch Anna Michaela Ebba Electra von Hausswolff – so viel Zeit muss sein – erfüllt dieses Anforderungsprofil. Das Blondhaar hat angemessene Länge und anlässlich ihres ersten Albums Singing From The Grave wurde sie mit Kate Bush verglichen. Ihr Vater ist allerdings kein richtiger Hippie, aber doch immerhin ein in Schweden berühmter Künstler, Musiker und Kurator, der im vergangenen Jahr einen Skandal auslöste, als er die Farbe für ein Gemälde mit der Asche von Holocaust-Opfern versetzte. Kein Wunder, dass das Töchterchen schon als Schülerin kein anderes Thema kannte.

„Ceremony“ von Anna von Hausswolff ist erschienen bei CitySlang/Universal.