Eine Sternstunde des britischen Sarkasmus, und sie klingt auch noch toll: Der Grammy-Nominierte James Hunter inszeniert sich wie ein Klassiker aus den Sechzigern.
Dass gerade Briten höchst erfolgreich Rhythm-’n‘-Blues-Klänge nach Amerika zurückexportieren, ist seit den Beatles und den Rolling Stones und zuletzt auch durch Amy Winehouse ein bekanntes Phänomen. Dass aber ausgerechnet ein 50-jähriger Waliser, der sich jahrelang als Straßenmusiker durchschlug und niemals den Schub einer großen Plattenfirma erfahren hat, in der Sparte glänzt, überrascht dann doch.
Man könnte denken, dass James Hunters englischer Akzent für einen Soulsänger als Nachteil erscheint. Doch der Mann beherrscht nicht nur die Kunst, Songs zu schreiben, die so klingen, als wären sie schon immer da gewesen. Er singt sie auch mit selten gehörter Hingabe. Und so passt es, dass Minute By Minute, das neue Album seiner Band The James Hunter Six, aufgemacht ist wie ein Klassiker aus den sechziger Jahren: Sein Gesang orientiert sich am Goldstandard von Otis Redding, Sam Cooke und Bobby „Blue“ Bland. Wie sie atmet Hunter die Schmerzenslust des Südstaatensouls, lässt die Emotionen stets kurz vor dem Siedepunkt köcheln. Dabei kombiniert er die stärksten Elemente ihres Sounds. Darf man ihm deshalb Rückwärtsgewandtheit vorwerfen? Klassischer Soul, sagt der Sänger, müsse genauso wenig wie der Rundbogen in der Architektur noch mal neu erfunden werden.
Bis in die neunziger Jahre tingelte der Soulman durch heimische Pubs. Und während Amy Winehouse ein weltweites Soulrevival auslöste, konnte James Hunter kaum von seiner Musik leben, er spielte für Trinkgeld auf öffentlichen Plätzen. Erst 2006 bekam er einen Plattenvertrag in Amerika, der zu seinem Grammy-nominierten Album People Gonna Talk und Touren mit Aretha Franklin, Etta James und Willie Nelson führte.
Nun aber liefert Hunter sein Meisterstück. Zu verdanken ist dies vor allem dem Produzenten Gabe Roth, Gründer des New Yorker Daptone-Labels, der bereits Amy Winehouse und Sharon Jones den authentischen Soulschliff verpasste. Nichts scheint auf Minute By Minute zu viel. Nichts dekorativ. Vielmehr versteht Roth sich darauf, Altbekanntes so klingen zu lassen, als würde es in dem Moment doch noch einmal neu erfunden. Hier hört man ein James-Brown-Riff, da eine Booker-T-Orgel, doch selbst Reggae-Rhythmen und Latin-Versatzstücke wirken wundersam unverbraucht.
Zum Spaß an der Sache tragen aber auch Hunters Texte bei. Subversiver Humor blitzt auf, wenn er, während er sich standesgemäß durch seidige Melismen croont, zugleich alle Erwartungen an einen Soulman enttäuscht und zur ganz unheldenhaften Flucht aus einer brenzligen Situation rät (The Chicken Switch). In The Gypsy wiederum bekommt ein Wahrsager, der ihm den baldigen Tod prophezeit, eins mit dem Bleirohr übergezogen. Eine Sternstunde des britischen Sarkasmus. Und eine Lebensversicherung für den Soul.
„Minute By Minute“ von James Hunter Six ist erschienen bei Daptone.
Aus der ZEIT Nr. 33/2013