Barfuß tanzen! Die Kalifornier Hundred Waters haben sich nach Friedensreich Hundertwasser benannt. In ihrem schlafwandelnden Synthiepop bleiben dunkle Untiefen zu entdecken.
Manche Musik braucht einfach kein festes Schuhwerk: Flower Power und Folk, Ethno und einiges an Americana, mit oder ohne „Neo“ davor, ob von Zivilisationsverdruss angetrieben oder bloß partiellem Fluchtimpuls – ein Sound aus vornehmlich hölzernen Instrumenten und naturbelassenen Stimmen wird immer Leute dazu bringen, barfuß zu tanzen. Kompliziert wird es erst, wenn der Klang elektronisch generiert wird, wenn das Gehörte also synthetisch ist und artifiziell. Im Technofach heißt das dann Goa und geht meist mit bewusstseinsverändernden Drogen einher. Aber im Pop?
Da gibt es Bands wie Hundred Waters, die so konsequent zwischen affektiert und natürlich traumwandeln, dass es einem förmlich die Schuhe auszieht. Schon das Debütalbum des Quartetts aus den Südstaaten der USA hatte vor zwei Jahren die lose Grenze zwischen Digitalität und Analogie überwunden (wie zuletzt höchstens die grandiosen Poliça hoch aus dem amerikanischen Norden) und dabei gleich noch ein vermeintlich neues Genre namens „Sound of Florida“ geschaffen. Sein Nachfolger mit dem Titel Moon Rang Like a Bell aber lässt die Konturen von damals noch ein wenig weicher erscheinen, die Trennlinien unschärfer.
Es ist ein episches Synthiepopalbum, das sein Instrumentarium aus Paul Gieses elektronischen Effektgeräten und Nicole Miglis‘ Keyboards plus Querflöte, aus Trayer Tryons Gitarre und Zach Tetreaults Drums im Kopf verschwimmen lässt wie betörende Einschlafmusik. Schon der Sirenengesang von Show me Love zum Auftakt erinnert an die furiose Taufszene im Coen-Film Oh Brother, Where Are Thou und legt die Messlatte des Absurden somit niedrig. Auch danach geht es in verstörender Schönheit weiter. Jedes der zwölf Stücke blickt zaghaft über den Tellerrand der eigenen Soundstruktur, was die andere Seite so treibt und entdeckt dort immer wieder etwas Neues für sich selbst.
Hier mal ein paar verstohlene Triphop-Elemente im Feenpop der Videoauskopplung Cavity, dort mal ein vordringliches Glockenspiel überm angebjörkten Gesang von Nicole und Trayer. Durch Down From The Rafters weht ein Cello von nirgendwo, das keines ist. Im vergleichsweise treibenden Animals legt sich ein überdrehtes Discosample unters stoische Schlagzeug. Und gelegentlich linsen The xx aus ihrem Schneckenhaus schlechter Laune oder Joan Wassers melodramatische Nüchternheit.
Hundred Waters sind Wachträumer, Schlafwandler, Weltenwanderer wie ihr Namenspatron Friedensreich Dunkelbunt Hundertwasser, dessen Werk augenscheinlich verspielt sein mag, aber auch Traurigkeit zu erkennen gibt, ein kämpferisches Erschaudern vor der Tristesse ringsum, die er in Regenbogenfarben ersäuft.
Manchmal wirken die Hundertwässer aus dem Sonnenstaat dabei arg esoterisch und weltabgewandt. Meistens aber möchte man dazu die Schuhe ausziehen und im Gras einer autoumtosten Verkehrsinsel wandern.
„The Moon Rang Like a Bell“ von Hundred Waters ist erschienen bei !K7 Records