Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Poesie durch Mühe

 

Der Pianist Bill Wells tastet sich Note um Note durch kinderliedhafte Kompositionen. Das japanische Bläser-Ensemble Maher Shalal Hash Baz versucht ihn zu begleiten – was aufs Schönste misslingt

Cover Osaka Bridge

Bill Wells aus Glasgow experimentiert unerschrocken an den Rändern von Jazz und Rock. Der Pianist gehört zum Umfeld des über Schottland hinaus bekannten Pop-Projektes Belle & Sebastian und hat als 50-Jähriger musikalisch schon so einiges erlebt. Jetzt aber, am Telefon, wenn er von der Zusammenarbeit mit Maher Shalal Hash Baz erzählt, hört man ihn am anderen Ende der Leitung unvermutet lachen und sieht ihn seinen Glatzkopf schütteln, so als könnte er es noch im Rückblick nicht ganz fassen, was er da angestellt hat.

Beim Namen fängt es an. Da nennt sich ein japanisches Ensemble nach einem hebräischen Sprichwort: Maher Shalal Hash Baz – „Sei schnell, wenn du etwas erbeuten willst“. Das Ensemble spielt aber unglaublich langsam. Und es spielt unglaublich lange, seit über zwanzig Jahren schon, in wechselnden Besetzungen, bloß spielen kann es immer noch nicht.

Maher Shalal Hash Baz will auch gar nichts können. Wer das Album Osaka Bridge zum ersten Mal hört, traut seinen Ohren kaum. Am Klavier Mr. Wells mit seinen kinderliedhaften Kompositionen: Umsichtig, gleichsam satiehaft, tastet er sich Note um Note voran. Ihn begleiten auf Trompeten und Hörnern, Gitarren und Trommeln Japaner, die trotz des Schneckentempos größte Mühe haben, Schritt und Ton zu halten.

Mal klingt das nach einer eingerosteten oberitalienischen Dorfkapelle alter Partisanen, die sich nur noch zu Trauermärschen zusammenfinden, wenn sie einem der ihren die letzte Ehre erweisen müssen. Mal erinnert es an Tanzmusik aus den fünfziger Jahren – an einen Bert Kaempfert, dem ein schweres Gebrechen jede Eloquenz und rhythmische Akkuratesse genommen hat. Wenn man so will: Uneasy Listening.

Manch ein Musikfreund wird diese Platte nicht genießen können. Wenn er sich jahrelang mit einem Instrument gequält hat, um die schiefen Töne und Quietscher stündlich aufs Neue auszumerzen. Getrieben von der Suche nach spielerischer Sicherheit und Beherrschung des Materials, aus der in guten Momenten Brillanz erwächst.

Tori Kudo, dem Begründer des Projektes Maher Shalal Hash Baz, geht es genau ums Gegenteil. Der Unklarinettist interessiert sich für das Scheitern auf niedrigem Niveau. „Das mag ich an den Japanern“, sagt Bill Wells, „sie haben eine Idee und ziehen sie bis zur letzten Konsequenz durch.“

Freilich war auch Wells verblüfft, wie sich seine zweiwöchige Japantour mit Kudos Ensemble vollzog: Mal erschienen sechs Leute auf der Bühne, mal zwölf, mal sechzehn, einige von ihnen hatte er nie zuvor gesehen. Ihr Englisch war wie ihr Spiel. An eine Frau erinnert er sich, die wochenlang nur auf Kisten schlug, bis Tori Kudo sie ihm als Schlagzeugerin vorstellte.

Und doch ist diese Musik von großer Wärme und Poesie. Bill Wells weiß, warum: „Diese Musiker spielen keine Klischees, weil sie es nicht können. Schon um eine einfache Melodie zu schaffen, müssen sie alles geben – und das spürt man.“

„Osaka Bridge“ von Bill Wells & Maher Shalal Hash Baz ist erschienen bei Karaoke Kalk

Hören Sie hier „Duck“

Weitere Beiträge aus der Kategorie PUNK
Rocket/Freudental: „Wir leben wie Gespenster“ (pavlek schallplatten 2006)

Alle Musikangebote von ZEIT online finden Sie unter
www.zeit.de/musik