The Whitest Boy Alive ist die Konsensband der iPod-Individualisten. Das neue Album „Rules“ klingt allerdings, als ruhte sich die Gruppe auf ihrem Erfolg aus
In einer Musikwelt, die allerorten schillert, deren Himmel voll blanker Brüste hängt und auf deren Straßen dicke Typen in dicken Karren mit dicken Knarren winken, ist Ehrlichkeit Trumpf. Mut zur Einfachheit, zur Schüchternheit, zum Glanz im Verborgenen.
Die Gruppe The Whitest Boy Alive um Erlend Øye, den vielleicht blassesten Norweger im Universum, hat diesen Mut bewiesen. Seit ihrem Debütalbum Dreams von 2006 werden sie deswegen gefeiert und verehrt. Ihr Konzept, Discopop mit der Hand zu spielen und den Computer im Keller zu lassen, ist angenehm anders – kann man doch aktuellen Pop-Produktionen oft anhören, dass die Lieder durch leichtfertiges Klötzchenschieben am Rechner entstanden sind.
The Whitest Boy Alive setzen einen Kontrapunkt zum perfektionierten, digitalisierten Leben und sind gerade dadurch zur Konsensband der iPod-Individualisten geworden. Ihre Musik ist informationsökonomisch, überfordert niemanden, ist zum Tanzen genauso gut geeignet wie zum Kaffeetrinken, vermittelt Lebensfreude, und die realromantischen Texte sind auch ganz in Ordnung.
Hier ist also eine Berliner Band am Werk, die ihre Stücke in Echtzeit spielt und aufnimmt. Sympathisch. Da schwankt mal der Rhythmus, oder der Sänger Øye trifft den Ton zu spät. Nicht so sehr, dass es störte, sondern gerade so, dass es menschlich klingt.
Es macht Spaß, den Musikern dabei zuzuhören, wie sie House, Funk, Discoklassiker, Soul und Indiepop verquicken, wie sie ihre Melodien und Motive entwickeln, wie diese sich vom Keyboarder auf den Gitarristen auf den Sänger übertragen.
Nur: Das kennt der geneigte Hörer seit dem Debütalbum, und die gerade erschienene zweite Platte Rules fügt dem nichts Neues hinzu. Hübsche Lieder, vorgetragen von der glasklaren, nonchalanten Stimme Erlend Øyes, begleitet von einem warmen Arrangement aus Schlagzeug, Gitarre, Bass und Keyboard. Das Neue klingt wie das Alte. (Nun ja, die Melodien auf dem ersten Album waren sogar griffiger.)
Da darf man vielleicht die Frage stellen, was die Herren in den vergangenen drei Jahren getrieben haben. Reisen, Feiern, Auflegen, Sichfeiernlassen? Ihren Sound haben sie nicht signifikant weiterentwickelt, manche der Liedideen sind schon damals auf Konzerten erklungen. Möglicherweise besteht Rules gar aus Stücken, die es nicht aufs Debütalbum geschafft haben.
Ruhen sich die vier also auf ihrem erfolgreichen Konzept aus? Ist die Ehrlichkeit und Natürlichkeit nur mehr eine Masche? Es könnte gut sein, dass Erlend Øye und seinen Jungs der ganze Rummel um Hipness, Nerds und Geek Chic zu Kopf gestiegen ist. Rules jedenfalls klingt, als wäre dort oben nicht mehr viel Platz für neue Ideen.
„Rules“ von The Whitest Boy Alive ist bei Bubbles erschienen.
Sehen Sie hier, wie der Künstler Geoff McFetridge das Beiheft zur CD gestaltet hat. Seine Bilder sind gerade in Berlin zu sehen.
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