Kingdom erschien vor zwei Wochen als erste Single von Dave Gahans neuem Album Hourglass, ein fantastischer Stampfer, der auch seiner Band Depeche Mode gut gestanden hätte. Der Bass drängt, die elektronischen Kollegen fiepsen, schnarren und plärren, ein mutterloses Kreischen verschleppt den pfiffigen Refrain. Dave Gahan singt mit gepresster Stimme einen etwas müden Text, aber den kann man ja ignorieren. „If there’s a kingdom beyond it all, is there a God who loves us all, do we believe in love at all?“
Die Werbemaschine der Platte brüllt seit Anfang August. Jede Woche konnte man sich auf der offiziellen Website und bei Youtube ein neues kurzes Video aus dem Studio anschauen. Man sah Dave Gahan und seinen beiden Musikern dabei zu, wie sie erste Erfahrungen mit einer Videokamera sammelten. Sie grüßten die Fans, spielten mit den Möbeln und der Fernbedienung, machten schlechte Witze und blöde Gesichter. Schnipsel der Stücke Kingdom und Down waren dort zu hören, so zugerichtet, dass kein Raubkopierer irgendetwas damit anfangen konnte. Andere Hörer leider auch nicht.
Nun ist das Album da. In einem Filmchen erläutern Dave Gahan, die Musiker Christian Eigner und Andrew Phillpott und der amerikanische Journalist Ken Scrudato, weshalb es so fabelhaft geworden ist. „Hourglass ist das Album, dass Dave immer machen sollte“, erzählt der wild frisierte Ken Scrudato. „Das Album war immer in ihm, aber es konnte erst jetzt aus ihm heraus.“ Denn „er musste das durchmachen, was er durchmachte um an diesen Punkt zu kommen.“ Vor zehn Jahren war Gahan nach einer Überdosis Heroin einige Minuten lang klinisch tot. „Ich versuchte herauszufinden, wer ich bin“, sagt er. Es sei ein erwachsenes Album, sagen seine Musiker, „die philosophischen Fragen, mit denen sich Dave befasst, sind spezifisch für seinen Pfad zur Erlösung, zum Heil.“
Warum sollte das jemanden interessieren? Beim vielen Nachdenken über sich und die Erlösung traf er seinen Gott. Gute musikalische Ideen liefen ihm selten über den Weg. So wichtig das Album für die Spiritualität des Herrn Gahan sein mag, so belanglos quält es sich am Hörer vorbei. Ein Stück ist richtig gut (man höre oben). Alles andere gelangt nicht einmal in die Nähe schlechterer Lieder von Depeche Mode. Man kann es in zwei Kategorien einteilen, Deeper And Deeper und Use You sind überambitioniertes Gebrezel, die sieben restlichen sind ödes Geschmachte. Die Melodien sind austauschbar, das Gefiepe im Hintergrund kleistert nur Fragmente zusammen. „Meiner Meinung nach ist es die beste Platte, die ich machen konnte“, sagt Dave Gahan.
In dem erwähnten Film über das Album erzählt er auch davon, wie er seiner Band das Stück I Saw Something zum ersten Mal vorsang. Der Schlagzeuger Christian Eigner habe ihn bloß schweigend angeschaut. Was er wohl gedacht hat? Kommt mir irgendwie bekannt vor? 21 Days verzichtet auf eine Melodie. Miracles klingt, als hätten die beiden Musiker Eigner und Phillpott stundenlang betrunken herumgespielt und dem Sänger dann die besten fünf Minuten geschickt, damit er sie betextet. Wahrscheinlich war auch er betrunken: „I don’t believe in miracles, and they happen everyday. I dont believe in Jesus, but im praying anyway“. Halleffekte überziehen die meisten der Stücke, die sich mühevoll auf viereinhalb Minuten strecken. Endless dauert beinahe sechs Minuten. A Little Lie klingt immerhin noch einigermaßen akzeptabel, kommt aber fünfzehn Jahre zu spät. Die Simple Minds haben das Stück schon in x Variationen gesungen.
Wer also braucht Hourglass? Ken Scrudato glaubt es zu wissen: „Menschen werden Hourglass hören und Inspiration finden, die ihnen hilft, die Fragen ihres Lebens zu beantworten. Und ist es nicht genau das, was wir von Musik wollen?“
„Hourglass“ von Dave Gahan ist als CD, als CD mit Bonus-DVD und als Doppel-LP bei EMI erschienen.
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