Der afroamerikanische Altsaxofonist Anthony Braxton pflegt eine innige Beziehung zu Deutschland. Seine Karriere begann vor 30 Jahren beim Jazzfestival in Moers, er bewundert Bach und Beethoven. Karlheinz Stockhausen sei neben Iannis Xenakis, John Coltrane und Sun Ra eines seiner Vorbilder, erzählt er. Er habe ihm vor Augen geführt, dass man bis ins hohe Alter unabhängig musizieren könne.
Anthony Braxton ist 62 Jahre alt. In den vergangenen 30 Jahren hat er eine eigene musikalische Sprache entwickelt, einen ehrlichen künstlerischen Ausdruck. Braxton begreift sich als professionellen Musikstudenten, als jemand, der sein Leben lang lernt. Er setzt sich gerne zwischen die Stühle: Genau genommen, sagt er, sei er nicht einmal Jazzmusiker. Sein Werk sei uneindeutig wie sein Leben zwischen schwarzer und weißer Kultur, zwischen Jazz und Klassik, zwischen linker und rechter Politik. Es interessiere ihn, wie die Menschen ihre Hoffnung zurückgewinnen können.
Sein neues Soloalbum wurde im Jahr 2003 beim schweizer Jazzfestival in Willisau mitgeschnitten. Die Kompositionen auf der CD tragen Titel wie 328 c, 191 j und 344 b. Kleine bunte Grafiken stehen neben den Titeln im CD-Heftchen, es gibt keinen erklärenden Text, keine poetische Einleitung. Erstaunlich zurückhaltend mutet das an, zumal für einen Künstler, der im Gespräch über die gedankliche Einheit von Erfahrung, Idee und Transposition referiert.
Neben sieben Eigenkompositionen interpretiert Braxton auf Solo Willisau den Jazzklassiker All The Things You Are von Jerome Kern. Er fällt mit dem Thema ins Haus, insgesamt klingt seine Version fast konventionell angelegt. In der Komposition 119 m spielt er Töne, die an die Melodien und Gesten des Sprechens erinnern, aber unverständlich bleiben.
Das Leben sei befremdend und wunderschön zugleich, sagt Anthony Braxton im Gespräch über sein neues Werk. Genau davon handelt die wundersame Musik auf diesem bezaubernden Album. Man spürt, dass er ein glücklicher Menschen sein muss, weil seine Arbeit immer gebraucht wird. In normalen Zeiten blühe und entwickle sich die Musik, in harten Zeiten umso stärker. Gerade Musik, die jenseits des großen Marktes existiere, sei wichtig für eine demokratische Gesellschaft, sagt Braxton. Die Reiche zerfielen, doch der Mensch entwickele sich weiter. Jetzt aber habe er keine Zeit mehr zu verschwenden, die Arbeit rufe.
„Solo Willisau“ von Anthony Braxton ist bei Intakt Records erschienen.
Cecil Taylor und Anthony Braxton sollten in Italien erstmals im Duo spielen. Als es fast so weit war, kamen die Veranstalter tüchtig ins Schwitzen. Lesen Sie hier die Reportage von Fredi Bossard »
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