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Brüll drei Worte zum Pogo

 
Über die Jahre (30): Anfang der achtziger Jahre brachte die schottische Band The Exploited den Irokesenschnitt in den Punk. Ihr Album „Troops Of Tomorrow“ vertonte die Wut einer Generation

The Exploited Troops Of Tomorrow

Wenn Wattie Buchan gerade keinen seiner Texte brüllt, kümmert er sich um sein Piercing in der Unterlippe. Seine Zunge tastet und richtet, was er da tut, weiß man nicht. Immer wieder spuckt er auf den Boden, sein Irokesenschnitt leuchtet rot. Seine Band The Exploited knüppelt sich derweil durch die Stücke. Die Aufpasser vor der Bühne in Hannovers Scum-Club interessiert das alles nicht, sie starren böse in die Menge. Da nur ein paar Millimeter Platz zwischen ihnen und dem Publikum sind, wippen die Besucher zögerlich mit den Füßen, keiner wagt den Pogo. Erst als Wattie Buchan die Aufpasser an die Seite schickt, wird wild getanzt. Beim letzten Stück stürmen ein paar Leute auf die Bühne und schreien ins Mikrofon. Den Text von Sex And Violence können sie alle auswendig, er besteht nur aus drei Wörtern.

The Exploited haben sich im Jahr 1980 in Edinburgh gegründet, sie gehören zur zweiten Generation des britischen Punk. Im folgenden Jahr veröffentlichen der Sänger Wattie Buchan, der Gitarrist John Duncan, der Bassist Gary McCormack und der Schlagzeuger Andrew Campbell ihr Debütalbum Punk’s Not Dead. Es klingt hart, schnell und wütend. Anders als die Sex Pistols, The Clash und viele andere Bands der ersten Punk-Generation haben The Exploited nichts mit Mode und Kunsthochschulen zu tun – sie kommen von der rauen Straße.

Im Jahr 1982 erscheint das zweite Studio-Album, Troops Of Tomorrow. Es gilt als eine ihrer wichtigsten Veröffentlichungen. Professioneller produziert als das Debüt, ausgereifter und dennoch ungeschliffen, transportiert es die Wut junger Menschen aus der Arbeiterklasse. Es spiegelt die politische Situation im Großbritannien der Thatcher-Ära, thematisiert den Kalten Krieg und die hohe Arbeitslosigkeit. Eine Vertonung dieser Zeit, ein Wutausbruch eines Milieus, das dafür keine klügeren Worte fand oder finden wollte.

So aggressiv die Musik und der Gesang sind, so simpel sind viele der Texte, nicht nur auf diesem Album. Die gebrüllten Worte sind kaum verstehen, die Botschaften kommen meist trotzdem an. Mit seinem harten schottischen Akzent schreit Wattie Buchan gegen den Kapitalismus und die Obrigkeitshörigen, gegen die Armee und den Falkland-Krieg. Die damalige Premierministerin Margaret Thatcher nennt er eine „fucking cunt“, er schimpft auf die Polizei und die USA. Im Lied Alternative befindet er, die Armee sei keine Alternative zur Arbeitslosigkeit – als ehemaliger Berufssoldat spricht er aus Erfahrung. Das Titelstück ist eine Coverversion der britischen Punk-Band The Vibrators. Andrew Campbell verlässt The Exploited vor den Aufnahmen, auch seine Nachfolger Danny Heatley und Steve Roberts trommeln nur für kurze Zeit. Auf dem folgenden Album ist von der ursprünglichen Besetzung nur noch Wattie Buchan übrig: Er wurde zum Kern der Band. Über die Jahre kommen und gehen viele Musiker, der raue Klang bleibt.

Die Nietenlederjacken und das Logo der Band – ein brüllender Totenschädel mit Irokesenschnitt – prägen die Szene. Es heißt, The Exploited brachten eine neue Frisur in den Punk. Dennoch sind sie in den meisten Abhandlungen über das Genre nur eine Randnotiz. Sie sind umstritten, zu stumpf das Auftreten, die Musik zu nah an Oi! und dem Arbeiterklassen-Mob. Vielen Punks klingen ihre Alben zu sehr nach Metal.

Wattie Buchan sagt stets, man solle für sich einstehen und für das, woran man glaubt. In seinem Fall sind das Punk, Anarchie und Chaos. Noch heute ist er ein Rüpel mit einer Vorliebe für Schimpfwörter und ohne Sinn fürs politische Korrekte. Man muss das nicht mögen. Aber Exploited sind eben Exploited: Ihre Lieder sind eingängig, stumpf – und manchmal richtig gut.

„Troops Of Tomorrow“ von The Exploited ist im Jahr 1982 erschienen und über Captain Oi! erhältlich.

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(29) Low: „Christmas“ (1999)
(28) Nena: „Nena“ (1983)
(27) Curtis Mayfield: „Back To The World“ (1973)
(26) Codeine: „The White Birch“ (1994)
(25) The Smiths: „The Queen Is Dead“ (1986)
(24) Young Marble Giants: „Colossal Youth“ (1980)

Hier finden Sie eine Liste aller in der Serie erschienenen Beiträge.

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