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Zum Billard beim Premierminister

 

Ein musikalisches Abkommen zwischen Orient und Okzident: Mit seinem neuen Album „Mixed Race“ wird der Trip-Hopper Tricky hoffähig.

© Jack Dante

Als Noel Gallagher 1997 in Downing Street No. 10 vorbeischaute, war Tony Blair noch nervös, der Oasis-Gitarrist könnte den eben frisch erworbenen Amtssitz demolieren. Sein Nachfolger scheint diese Tradition fortsetzen zu wollen. Zwar lud der neue britische Premierminister keine Rockstars zu seiner Einführung, er ist schließlich Tory. Dafür ließ er seine Ehefrau öffentlich gestehen, ein gewisser Adrian Thaws habe ihr dereinst in zwielichtigen Kneipen das Billardspielen beigebracht.

Dieser Herr Thaws heißt mittlerweile Tricky, gilt als Enfant terrible des britischen Pop und wurde anschließend von der britischen Presse gelöchert, ob er Mrs. Samantha Cameron damals auch noch anderes hatte vermitteln können – wie man einen Joint raucht zum Beispiel. Da sich Herr Thaws aber beim besten Willen nicht mal mehr an die Episode am Billardtisch zu erinnern vermag, blieb der große Skandal im Vereinigten Königreich aus.

Dass man mit ihm mittlerweile Staat machen kann, bestätigt Tricky mit Mixed Race. Auf seinem neunten Album gibt sich der Musiker aus Bristol so staatstragend wie selten zuvor. Seit seinem Debüt Maxinquaye, das 1995 dem Trip-Hop zum kommerziellen Durchbruch verhalf, verlor sich der Schulabbrecher, Ex-Dealer und Knasti immer wieder gern in elektronisch gestützten Sound-Exkursionen, die die Abgründe seiner Seele ausloteten und den Zuhörer oft genug in denselben quälenden Zustand versetzten wie den nach Katharsis strebenden Komponisten.

Auf Mixed Race sucht man solche Prüfungen vergebens. Stattdessen hat der nun auch schon 42-jährige Tricky Stücke programmiert, die etwa Time To Dance heißen und recht flott und funky, dabei weitestgehend harmlos dahintuckern. Das leichtfüßige Come To Me würde, zumindest ausschnittweise, in einem handelsüblichen Radiosender nicht der Geschmackszensur zum Opfer fallen. Every Day ist ein braver Talking Blues, und Murder Weapon, das Cover eines fast 20 Jahre alten Reggae-Hits von Echo Minott, baut sogar unverblümt auf dem so legendären wie abgenutzten Motiv aus Peter Gunn auf.

Selbst mit seinem frühesten Schaffen scheint sich Tricky versöhnt zu haben. Er mag zwischenzeitlich ins Exil (ausgerechnet die einst ungeliebten USA) gegangen sein, er mag sich fünf Jahre lang nicht mehr auf eine Bühne gewagt haben – Ghetto Stars schabt so geruhsam dahin, reproduziert so geschmackssicher die Stimmung alter Cool-Jazz-Aufnahmen, als wollte Tricky tatsächlich den Trip-Hop wiederbeleben. Bis auf eine hin und wieder durch den Track trötende Trompete fügen sich sämtliche Stücke in das Schema, das er einst mit seinen Musikerkollegen in Bristol entwickelte. Doch während die alten Mitstreiter von Massive Attack auf ihrem letzten Album kaum neue Ideen entwickeln mochten, müht Tricky sich zumindest, das leidgeprüfte Genre etwas aufzumischen.

Am besten gelingt das in Hakim, wo das abgeklärte Trip-Hop-Getröpfel mit arabischen Harmonien und dem Gesang von Hakim Hamadouche kurzgeschlossen wird. Hier manifestiert sich der neue Tricky: Kein Wühlen mehr in den eigenen Eingeweiden, stattdessen bekommen wir ein bilaterales Abkommen zwischen Orient und Okzident geboten, mit dem er sich verdient macht um die Völkerverständigung. Welch eine Wandlung! Premierminister Cameron muss keine Angst haben, sollte er einmal den Wunsch verspüren, sein Billardspiel zu verbessern. Diesen Adrian Thaws kann man bedenkenlos in die Downing Street einladen.

„Mixed Race“ von Tricky ist erschienen bei Domino/GoodToGo.

Aus der ZEIT Nr. 41/2010