Lesezeichen
 

Romneys Leerstellen sind eine Vorlage für Obama

Barack Obama muss sich um die Wirkung seines Auftritts auf dem Parteitag der Demokraten in dieser Woche kaum sorgen. Mit ihrem Spektakel in Tampa, Florida, haben die Republikaner zwar ordentlich vorgelegt: Laut, bunt und teuer war die Nominierung ihres Hoffnungsträgers Mitt Romney, die Emotionen kamen hoch dosiert, die unangenehmen Überraschungen hielten sich in Grenzen. Doch inhaltlich hat Obama nun die Chance, bei den Wählern zu punkten, weil die Rede seines Kontrahenten viele Lücken ließ. Und schon der Ort, an dem der amtierende Präsident am Donnerstag sprechen wird, wenn seine Partei ihn formell noch einmal zum Kandidaten macht, setzt ganz andere Maßstäbe.

73.778 Plätze bietet das Football-Stadion in Charlotte, North Carolina. Obamas Wahlkämpfer sind sicher, dass sie alle gefüllt sein werden. Größer kann man die Kulisse nicht wählen. Undenkbar, welches Bild ein Auftritt vermittelte, blieben einige der Ränge leer. Doch wenn es gutgeht, steht Obama da wie ein Rockstar, kein Vergleich zu seinem spröden Herausforderer.

Schub in Umfragen hielt nur kurz

Die Euphorie der Republikaner hat bereits einige kleine Dämpfer nach dem Parteitag in Florida bekommen. Dazu gehören die Einschaltquoten für Romneys Nominierung, die sicher auch der Hurrikan Isaac beeinflusst hat: Geschätzte 30,3 Millionen Menschen sahen am letzten Tag des Events zu. Als vor vier Jahren John McCain seine Kandidatur annahm, waren es 38,9 Millionen (damals sogar 500.000 mehr als bei Obamas Rede).

Mehr noch muss die republikanischen Wahlkämpfer beunruhigen, dass der Parteitag die Gunst der Wähler offenbar nur wenig beeinflussen konnte. Meinungsforscher hatten einen Schub für den Kandidaten erwartet, der sich auch durchaus einstellte: Vor einer Woche sah eine Reuters/Ipsos-Erhebung Obama noch mit vier Punkten vor Romney (46 zu 42 Prozent). Kurz nach seiner Rede führte Romney mit einem Punkt. Doch am Sonntag war das Rennen wieder ausgeglichen (45 zu 45 Prozent) – der Effekt also bereits verpufft.

Es mag Mitt Romneys bislang bester Auftritt in diesem Wahlkampf gewesen sein. Hinter dem kalten Kapitalisten schien erstmals ein Mensch durch, der liebt, leidet und lacht. Das war wichtig. Wenn auch viele Amerikaner glauben, die Wirtschaft sei bei diesem Mann in den richtigen Händen: Ein Großteil mag ihn einfach persönlich nicht. Der Versuch, dieses Defizit abzubauen, hat folgerichtig viel Raum in Romneys Rede eingenommen.

Große Versprechen, wenig Details

Doch das Persönliche rückte zulasten des Politischen in den Vordergrund. Jobs, Wachstum, Schulden – genau auf jenen Feldern, die der republikanische Kandidat immer wieder mit Nachdruck ins Zentrum des Wahlkampfs zerrt, waren die Versprechen groß, die Details blieben aus.

Für Obama wird es deshalb die beste Strategie sein, nicht nur in allen Einzelheiten aufzuzeigen, was er selbst geleistet hat und was er tun wird, sollten die Amerikanern ihn für eine zweite Amtszeit ins Weiße Haus wählen. Es kann auch nicht allein darum gehen, seinen Herausforderer persönlich anzugreifen, ihn als skrupellosen Finanzinvestor ohne Herz, als abgehoben und elitär darzustellen. Oder sich an ideologischen Themen wie der Abtreibungsdebatte festzubeißen. Nein, wenn Obama klug ist, wird er sagen, was Romney verschweigt. Überall dort, wo der Republikaner und sein Vize Paul Ryan vage geblieben sind oder die Auswirkungen ihres Programms verschleiert haben, kann Obama konkret werden.

Die weiter hohe Arbeitslosigkeit wird der Präsident nicht beschönigen können, aber die Kritik an seiner Wirtschaftspolitik kann er kontern. Wenn er in Erinnerung ruft, unter welchen Bedingungen er gestartet ist. Wenn er herausstellt, wie er mit Finanzkrise und Rezession umgegangen ist – also etwa erklärt, warum neben staatlicher Unterstützung für Banken oder Autoindustrie Investitionen in Bildung und Infrastruktur eine so wichtige Rolle gespielt haben. Oder wie er unter schlechten Voraussetzungen eben doch Jobs geschaffen hat. Das Programm der Republikaner hat Obama als veraltet und eher ins vergangene Jahrhundert passend verspottet. Am Donnerstag wird sich zeigen, ob er modernere Ideen hat – Romney hat ihm den Spielraum dafür gelassen.

Offene Flanke Sozialprogramme

Manche Themen kann Obama dabei völlig frei besetzen, weil Romney sie in seiner Rede nicht einmal angeschnitten hat. Kein Wort etwa über amerikanische Soldaten im Krieg, Einwanderung oder staatliche Sozialleistungen. Das sind vorteilhafte Themen für den Präsidenten: Er hat den Irakkrieg beendet und einen Plan für den Truppenabzug in Afghanistan – Romney fällt es schwer, dem etwas entgegenzusetzen. Obama hat mit seiner Einwanderungspolitik viele Sympathien in der wachsenden Wählergruppe der Latinos gesammelt – sein Gegner hat sich zu einer harten Linie drängen lassen, die er nur ungern unaufgefordert vertritt. Die staatlichen Sozialleistungen schließlich sind ebenso wie die Krankenversicherung ein Feld, auf dem Obama Romneys Leerstellen füllen könnte: Was etwa bedeutete es, sollte das Medicare-Programm für Ältere teilweise privatisiert werden? Was, wenn Obamas Gesundheitsreform rückgängig gemacht würde?

Am Ende ist es ein schmaler Grat, denn auch Obama muss ans Sparen denken und wird ebenso Einschnitte vertreten müssen. Doch nur durch substanzielle Vorschläge, die einen echten Kontrast zum republikanischen Programm bieten, kann er diese Wahl noch zu einer echten Richtungsentscheidung machen. Bliebe der Präsident hingegen ähnlich unspezifisch wie sein Gegner – die Unzufriedenen und Unentschlossenen würden es vielleicht doch lieber mit dem Wirtschaftsmann Romney versuchen.

 

Der eigentliche König

Es war keine bedeutende Rede, aber eine gute. Paul Ryan schluckte ein paarmal, redete manchmal ein bisschen zu schnell und suchte zwischendurch immer mal wieder Halt am Wasserglas. Die Nervosität war dem republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten bei seinem großen Auftritt am Mittwochabend auf dem Parteitag in Tampa durchaus anzumerken.

Aber nach Ann Romney hat auch er die Bewährungsprobe ziemlich glanzvoll bestanden. Ryan war angriffslustig, ohne dabei zu überziehen. Er war ernsthaft, ohne mit zu vielen Details zu langweilen. Und er wurde der Erwartung gerecht, die treibende Kraft hinter der neuen ideologischen Ausrichtung der Romney-Kampagne zu sein. „Lass es uns anpacken!“, sagte er zu Romney, als dieser ihm das Vizeamt antrug.

Die alte Regel sagt, Amerikaner wählen den Präsidenten und nicht den Vize. Und in der Regel nimmt das Volk vom Stellvertreter kaum Notiz. Doch unweigerlich fühlte man sich an den Republikanerparteitag vor vier Jahren erinnert, als der müde John McCain seiner Kampagne mit der überraschenden Kür von Sarah Palin für einen kurzen Moment neues Leben einhauchte.

Gegen den Staat

Auch Mitt Romney brauchte diesen neuen Schub. Aber Ryan ist keine zweite Palin. Dafür ist er zu seriös, dafür fehlt ihm zum Glück die Dreistigkeit und Frechheit der Ex-Gouverneurin von Alaska. Und dafür ist Ryan unter Republikanern viel zu bekannt. Schließlich sitzt der 42-jährige Kongressabgeordnete aus Janesville, Wisconsin, seit 14 Jahren im Parlament zu Washington, er führt den Haushaltsausschuss, schreibt politische Programme und gilt seit mindestens zwei Jahren als der Kopf der neuen konservativen Antistaatsbewegung.

Auch wenn in der Halle von Tampa vielleicht die ganz große Euphorie ausblieb, die damals für einen kurzen Moment Palin zuteil wurde, ist Ryan der unumstrittene Liebling der Republikanischen Partei von 2012. Sein Glaubensbekenntnis ist auch ihres. Wie er stellt auch sie die reine Lehre über den politischen Kompromiss. Das gemeinsame Dogma lautet: Weniger Staat, weniger Gesetze, weniger Steuern!

Natürlich war manches, wie immer bei solchen Reden, geschönt. So ist Ryan nicht der Junge aus Janesville geblieben, der dem einfachen, bodenständigen Leben einer Kleinstadt verhaftet ist. Seit mehr als anderthalb Jahrzehnten arbeitet er die Woche über in Washington. Politik ist sein Beruf und seine Berufung. Und die Familie Ryan ist sehr vermögend.

Der Mittwochabend hatte außerdem eine Überraschung parat. Einen Moment lang dachte man, Ryan würde die Schau gestohlen. Denn kurz vor ihm sprach Condoleezza Rice, die ehemalige Sicherheitsberaterin und Außenministerin von George W. Bush. Als sie die Bühne betrat, tobte der Saal vor Begeisterung, Rice konnte es selber kaum fassen.

Rice sagt auch Unpopuläres

Es heißt, einen Moment lang habe Mitt Romney überlegt, die Stanford-Professorin zu seiner Vize zu machen. Außenpolitik ist Romneys schwache Stelle, und auch Ryan versteht nichts davon. Zudem ist Rice schwarz und eine Frau. Das alles schien verlockend. Doch die Idee wurde schnell verworfen, die Ära Bush und der Irakkrieg werfen einen zu langen Schatten.

Rice hielt eine großartige, eine aufrüttelnde und die bislang einzige bedeutende Rede. Man muss mit ihr nicht übereinstimmen und kann trotzdem konzedieren: Sie sagt, was sie denkt und flüchtet nicht in Allgemeinplätze. Manche ihrer Botschaften waren bei diesem Publikum sogar äußerst unpopulär. Wie etwa ihr klarer Appell für eine mitfühlende, eine menschliche Einwanderungspolitik.

Aber weil Rice so echt und authentisch wirkte. Weil ihre Lebensgeschichte so beeindruckend ist und so gut ins Bild vom amerikanischen Traum passt. Und weil ihre Präsenz vielleicht so manchen Delegierten wehmütig an Zeiten erinnerte, als die Republikaner im Weißen Haus regierten. Wahrscheinlich aus all diesen Gründen flogen Condoleezza Rice plötzlich die Republikanerherzen zu. Hätte Ryan seinen Auftritt verpatzt, wäre nur noch von der Stanford-Professorin die Rede gewesen. Doch er reüssierte, und Rice war schnell vergessen.

Allerdings zeigte Ryans Auftritt wieder einmal: Mitt Romney ist mit seiner Vizewahl ein großes Risiko eingegangen und muss aufpassen, dass er nicht in den Schatten gestellt wird. Die Republikaner von heute sehen nicht in ihrem Präsidentschaftskandidaten, sondern in dessen Stellvertreter ihren Hoffnungsträger und geistigen Anführer.

Ein neuer Mitt Romney

Mit seiner Entscheidung hat Romney den Stab bereits an eine neue Generation weitergegeben. Egal wie die Wahl am 6. November ausgeht, nicht Mitt Romney, sondern Paul Ryan läutet die neue republikanische Ära ein. Gewinnt Romney, wird zwangsläufig das Ryan-Programm zur Richtschnur des Präsidenten. Die Partei wird ihn gnadenlos daran messen. Verliert Romney, wird der Abgeordnete Paul Ryan die Republikaner führen und erster Anwärter für die republikanische Präsidentschaftskandidatur 2016.

Noch immer wissen viele Wähler nicht, was sie von Mitt Romney halten sollen. Deshalb hatten seine Strategen drei Dinge geplant: Ehefrau Ann Romney kam die Aufgabe zu, ihrem oft unterkühlt und hölzern wirkenden Mann ein wenig Herz und Gefühl zu verleihen. Chris Christie, der bullige Gouverneur von New Jersey, sollte Romney das Image eines entschlossenen, unerschrockenen Politikers verpassen. Und Paul Ryans Rolle war es, den Herausforderer Obamas inhaltlich aufzupumpen.

Donnerstag ist nun der große Mitt-Romney-Tag: Da wird man sehen, ob ein neuer Mitt Romney entstanden ist.

 

Republikaner denken schon an Bush III

Am Rande des Republikanerparteitags in Tampa unterhalten sich einige bereits recht offen darüber, was eine Niederlage Mitt Romneys bei der Präsidentschaftswahl am 6. November wohl für die Partei bedeuten würde.

Die einen sagen, die Republikaner würden noch weiter nach rechts rücken und würden behaupten, die Wahlen hätten doch gezeigt, dass man mit einem eher moderaten Wendehals wie Romney nicht siegen könne. Beim nächsten Mal müsse man mit einem lupenreinen Konservativen antreten.

Jeb Bush auf dem Parteitag der Republikaner in Tampa (Stan Honda/Getty Images)

Die anderen wetten, dass sich die Partei nach einem schmerzlichen Prozess zur politischen Mitte hin öffnen und Latinos und Asiaten umwerben würde. Sie sagen, alles andere wäre politischer Selbstmord, denn ohne größeren Rückhalt bei den rasant wachsenden Minderheiten könnten die Republikaner in Zukunft keine Mehrheiten mehr gewinnen.

Letztere haben für diese Partei auch schon einen Präsidentschaftskandidaten für 2016 parat: Jeb Bush, ehemaliger Gouverneur von Florida, Sohn des Präsidenten Nummer 41, George H. Bush. Bruder des Präsidenten Nummer 43, George W. Bush. Verheiratet mit einer Latina und der spanischen Sprache mächtig.

Am Nachmittag trat er in Tampa auf einem Latino-Forum auf und sagte frank und frei, dass sich seine Partei mit der rabiaten Anti-Einwanderungsrhetorik ins Aus zu manövrieren drohe. Nicht jetzt, nicht sofort, aber in den nächsten Jahren.

Seine Anhänger sagen, 2016 sei Jebs ungeliebter Bruder George W. Vergangenheit. Chancen also für Bush III.