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Verpatzt

Es sollte die Rede aller Reden sein. Der Höhepunkt aller Höhepunkte. Der Augenblick, da der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney endlich ungefiltert von den Medien der amerikanischen Nation erzählen konnte, wer er ist, was er will und wohin er sein Land führen wird, sollte er am 6. November zum nächsten Präsidenten gewählt werden.

Diese Gelegenheit kommt selten, eigentlich nur zweimal: während der Nominierungsrede (siehe Transkript) jetzt auf dem Parteitag und dann Anfang Oktober, wenn Romney beim ersten Rededuell auf Barack Obama trifft. Mitt Romney hat die erste große Gelegenheit verpatzt. Auf der Skala von 1 bis 10, bekommt er allenfalls die Note 5: Mittelmaß.

Wie konnte das nur geschehen? Wer bloß hat diese Rede geschrieben? Dabei schien doch ziemlich alles in den vergangenen Tagen gut zu laufen. Was gesagt und getan wurde, war geradezu perfekt auf diesen Schlussakt zugeschnitten. Die bewegende Rede seiner Frau Ann, die ihren Mann sympathischer und nahbarer erscheinen ließ. Die Reden von Chris Christie, dem Gouverneur von New Jersey, und von Vizepräsidentschaftskandidat Paul Ryan, die einen wagemutigen Mitt Romney aufleben ließen, der die Courage und Entschiedenheit besitzt, unpopuläre, aber notwendige grundstürzende Reformen anzupacken.

Romney, der Opportunist

Fehlte nur noch Mitt Romney selber, der in der letzten Stunde dieses Nominierungsparteitages Amerika und der Welt zeigen sollte, dass er wirklich all das verkörpert, was andere über ihn sagen. Mit einem furiosen Auftritt sollte er alle Zweifler mundtot machen, die sagen, er sei ein Wendehals, ein emotionsloser Buchhalter, ein Zauderer. Und er wollte jene überraschen, die ihm vorwerfen, er sei einer der verschlossensten Präsidentschaftskandidaten der amerikanischen Geschichte. Denn eigentlich sage er nichts: nichts über sich persönlich oder seine Zeit als Gouverneur in Massachusetts; nichts über seine Weltsicht oder über seine Steuererklärungen.

Es ist ihm nicht gelungen, diese Vorbehalte auszuräumen. Womöglich hat er sie sogar noch verstärkt. So gesehen, war Romney durch und durch authentisch. Er hat sich nicht verstellt und zeigte sich als ein Macher, ein Exekutor, als ein Politiker ohne große Visionen, der tut und sagt, was gerade opportun ist.

Clint Eastwood wird zum Problem

Fast konnte einem Mitt Romney ein wenig Leid tun, wollte die Regie doch etwas anderes als er. Zudem versagte vor seinem großen Finale auch noch die ansonsten so perfekte Choreographie. Als Überraschungsredner war Schauspieler Clint Eastwood angekündigt. Er sollte, wenige Minuten, bevor Mitt Romney auftrat, die Delegierten in der überfüllten Halle so richtig in Fahrt bringen.

Aber niemand schien mit dem betagten Hollywoodstar genau besprochen zu haben, was er sagen und wie er es sagen sollte. Sein Auftritt geriet zur Peinlichkeit und hatte etwas Seniles. Eastwood spielte einen fiktiven Dialog mit Präsident Barack Obama. Im Prinzip keine schlechte Idee. Aber meist verstand man nicht, was er sagte. Und nicht nur, weil er flüsterte und die Mikrophone zu leise geschaltet waren. Und selbst wenn man etwas verstand, war es nicht wirklich witzig.

Anreden gegen Zwischenrufe

Außerdem störte gleich zu Anfang eine Handvoll Demonstranten Romneys Rede. Er schwieg einen kurzen Augenblick und redete dann gegen die Unruhe im Saal und die „USA, USA“-Rufe der Republikaner an. Doch der Lärm verschluckte seine Worte. Sollte er da eine wichtige Botschaft verkündet haben, blieb sie ungehört.

Romney hätte sich am Vortag bei Condoleezza Rice eine Lehrstunde holen sollen. Die ehemalige Sicherheitsberaterin und Außenministerin von George W. Bush trat am Rande des Parteitags bei einer außenpolitischen Veranstaltung auf. Als Demonstranten die Stanfordprofessorin unterbrachen, lächelte sie freundlich und sagte, sie sei froh in einer Demokratie zu leben, in der jeder laut seine Meinung äußern dürfe. Die Zuhörer tobten vor Begeisterung und dem Protest war die Spitze genommen. So souverän kann man auch reagieren.

Verpasste Gelegenheit

In der Tat ist eine Parteitagsrede nicht der Ort für komplizierte Politikentwürfe. Gleichwohl bietet sie einem Präsidentschaftskandidaten die beste Gelegenheit, der Nation zu zeigen, dass er durchaus in größeren Zusammenhängen denkt und Zukunftsvorstellungen hegt.

Einen Moment lang dachte man, Mitt Romney würde diese Gelegenheit ergreifen. Etwa als er sagte, dass er sich den Misserfolg Obamas nicht gewünscht habe, weil er den Erfolg Amerikas wolle. Da schien es, als werde er jetzt endlich sagen, wohin ein Präsident Romney Amerika führen würde, wie sich die Supermacht unter seiner Leitung inmitten der globalen Verwerfungen und tektonischen Verschiebungen innerlich und äußerlich verändern und neu ausrichten würde.

Natürlich auch die Frauen fördern

Doch wie bei einer Powerpoint-Präsentation hakte er brav, mechanisch und mit überaus konventionellen Antworten einen Punktekatalog ab: Der russische Präsident Wladimir Putin würde ihn weniger „flexibel“ erleben als Obama. Die Demokratiebewegungen im Mittleren Osten und die von Obama vernachlässigten Amerikafreunde Israel und Polen würde er stärker unterstützen. Mit weniger Gesetzen, weniger Steuern und weniger staatlicher Einmischung brächte er die Wirtschaft wieder in Fahrt. Und natürlich würde er Frauen fördern, denn schließlich seien sie genauso fähig wie Männer. Und überdies: Alles Leben sei heilig und ebenso die Ehe zwischen Mann und Frau.

Im Großen und Ganzen beließ es Romney bei solchen Allgemeinplätzen. Die einzigen konkreten Ausnahmen: Er würde, wie versprochen, sofort Obamas Gesundheitsreform kassieren und außerdem 12 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen. Wie genau er das machen will und wie er auf diese Zahl kam, ließ er unbeantwortet.

Die Angst vor dem Risiko

Weil man das alles schon hundertmal gehört hat, wartete man inständig auf eine neue Idee, auf irgendeine Überraschung in dieser Rede aller Reden. Doch der Zauderer Romney blieb seinem Ruf treu und scheute das Risiko. Die Wahl seines Vizes schien ihm Wagnis genug. Eigentlich muss Paul Ryan furchtbar enttäuscht gewesen sein, dass sich so gut wie nichts von seinen grundstürzenden Plänen in Romneys Worten wiederfand.

Der republikanische Präsidentschaftskandidat entschied sich, auch weiterhin wenig Preis zu geben. Weder über sich noch über seine politischen Pläne. Statt mit sprühenden Gedanken zu begeistern, euphorisierte er die Delegierten mit Angriffen auf Barack Obama. Dem Parteivolk mag das in ihrem Hass auf den demokratischen Präsidenten reichen. Aber den anderen Wählern?

So blieb Mitt Romney nach all diesen Tagen doch der, den man zu kennen glaubt: übervorsichtig, undurchsichtig, hölzern und langweilig.

 

Die Cayman Islands mal wieder

Ja, zu diesem Parteitag gehört auch das Feiern. Und die offizielle Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Republikaner ist kein geringer Anlass. Zudem wollen die größten Spender bei Laune gehalten werden. Also muss eine standesgemäße Party her. Auf einer Luxusjacht.

Das dürfte an sich schon all jenen die Zornesröte ins Gesicht treiben, die den Multimillionär Romney für einen abgehobenen, elitären Geldsack halten, der die Sorgen des einfachen Mannes nicht versteht. Sei’s drum, man muss ja nicht gleich Dinge von sich geben wie der Leiter des Washingtoner Büros von Yahoo News. David Chalian verlor am Mittwoch umgehend seinen Job, weil er gesagt hatte, Ann und Mitt Romney sorgten sich überhaupt nicht darum, wie es den Menschen gehe, die vom Hurrikan „Isaac“ betroffen sind. „Sie freuen sich über ihre Party, während Schwarze ertrinken“ – zu seinem Unglück war er damit auf Sendung.

Aber wie gesagt: So eine Party muss schon sein. Aber auf einer Jacht, die unter der Flagge der Cayman Islands fährt? Jenem Steuerparadies, in dem der frühere Finanzinvestor Romney zumindest einen Teil seines kaum überschaubaren Vermögens „parkiert“ (würde man in der Schweiz sagen, wo Romney ebenfalls früher ein Konto besaß)? Die lästige Debatte über seine Steuerlast wird Romney so jedenfalls nicht los.

Im Übrigen rufen die Republikaner auf der Website zum Parteitag inzwischen zu Spenden an das amerikanische Rote Kreuz auf, um die Hilfe für die Hurrikan-Betroffenen zu unterstützen.

 

Der lange Schatten des Irakkriegs

Einen Augenblick sah es fast so aus, als würde der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney zu seiner Vizekandidatin Condoleezza Rice berufen, die ehemalige Sicherheitsberaterin und Außenministerin von George W. Bush.

Beschlagen auf einem Gebiet, von dem Mitt Romney wenig versteht. Zudem schwarz und Frau – das sei doch die perfekte Wahl, unkte so mancher.

Wer den Beweis haben will, dass Rice eine falsche Wahl gewesen wäre, hätte heute Zeuge einer Veranstaltung über Amerikas Führung in der Welt sein sollen. Kaum betrat Rice die Bühne, brüllte eine Frau: „Sie haben Blut an den Fingern. Sie haben tapfere Soldaten im Irak in den Tod getrieben.“ Kaum war diese Demonstrantin des Saals verwiesen, sprang eine zweite auf und rief: „Die Anschläge vom 11. September waren nur der Vorwand für Krieg!“

Genau diese Reaktionen befürchteten die Romney-Strategen. Wo immer Rice auftreten würde, wären sofort Demonstranten zur Stelle und würden unermüdlich das dunkle Kapitel der Bush-Ära in Erinnerung rufen.

Diese Epoche möchte Romney abschütteln. Er selber hat darunter gelitten, dass seine republikanische Präsidentschaftskandidatur 2008 unter anderem an der aufgeheizten Irakdebatte scheiterte. Wirtschaftsmann Mitt Romney hatte wenig dazu beizutragen, in den Debatten mit John McCain wirkte er wie ein kleiner Schüler.

Vier Jahre später geht es um die Wirtschaft – und Romney, befreit vom langen Schatten des Irakkrieges, sieht seine große Chance gekommen. Aber nur ohne Condoleezza Rice an seiner Seite.