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Die Extremisten

In der Regel scheren sich amerikanische Präsidentschaftskandidaten nicht um das Programm ihrer Partei. Oft haben sie dieses nicht einmal gelesen, und es ist ihnen überdies egal, was dort steht, denn es zählt sowieso nicht.
Parteiprogramme haben, historisch gesehen, meist nur einen Zweck : Dort können, dürfen und sollen sich die extremen politischen Kräfte austoben. Dort können sie niederschreiben, was ihnen in den Sinn kommt. Die Programme dienen in erster Linie als Placebo für Außenseiter.

Das ist diesmal bei den Republikanern anders. Denn die Partei ist unter dem Einfluss der Tea-Party-Bewegung und religiöser Eiferer insgesamt so weit nach rechts gerückt, dass das Programm nicht nur Spiegelbild der republikanischen Partei ist, sondern ebenso des Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney und dessen Vize Paul Ryan. Extreme Meinungen geben bei den Republikanern den Ton an und bestimmen die generelle Ausrichtung der Partei, sie sind inzwischen, um es mit einem gängigen englischen Wort zu sagen: Mainstream.

Es liegt inzwischen ein Entwurf eines Programms vor, der auf dem Parteitag in der kommenden Woche verabschiedet werden soll. Auch das geschieht meist sang- und klanglos. Doch jetzt richten sich alle Augen auf dieses Papier und die Diskussion darüber. Denn das Programm zielt mitten in die höchst sensible und hochpolitische Debatte um das Recht auf Abtreibung. Die Mehrheit der Amerikaner will dieses Recht erhalten, die Mehrheit der Frauen sowieso.

Verheerende Ansichten eines Hinterbänklers

Zu verdanken haben Romney & Co. diese höchst unwillkommene Diskussion einem republikanischen Politiker aus dem US-Bundesstaat Missouri, der sich um einen Senatorensitz im Kongress in Washington bewirbt. Dieser Mann sagte jüngst in einem Interview, Opfer von „richtigen“ Vergewaltigungen würden in der Regel nicht schwanger.

Üblicherweise hätte diese verheerende Ansicht eines Hinterbänklers der Politik keine nationale Aufmerksamkeit erregt. Doch diesmal hat sie zwischen Atlantik und Pazifik einen gewaltigen Proteststurm ausgelöst. Nicht nur, weil Wahlkampf ist und die Demokraten dankbar jedes Thema aufnehmen, um von der Debatte über die marode Wirtschaftslage abzulenken.

Nein, der tumbe Senatorenkandidat aus Missouri lenkt die Aufmerksamkeit mit voller Kraft auf das Parteiprogramm und auf den Präsidentschaftskandidaten und seinen Vize. Auf einmal möchte man wissen, was denn die nach rechts gerückten Republikaner in dieser Sache denken. Und wessen Geistes Kind ihre Frontmänner sind.

Plötzlich kommt zum Vorschein, dass Mitt Romney wie auch das Parteiprogramm für ein verfassungsrechtliches Verbot von Abtreibungen plädiert. Und dass sein Vize Paul Ryan ebenso wie das Parteiprogramm noch weit radikalere, um nicht zu sagen: extremere Ansichten vertritt. Er fordert – wie das Programm – ein absolutes Abtreibungsverbot, selbst im Fall von Inzest und Vergewaltigung. Mitt Romney ist da zwar anderer Ansicht und will diese Ausnahmen. Aber jetzt hat er eine Debatte am Hals, die wie ein Mühlstein um seinen Hals hängen wird.

Parteiprogramm enthält weitere extreme Forderungen

Zudem: Jetzt lesen viele das an sich überflüssige und meist verdrängte Parteiprogramm. Bei der Lektüre stoßen sie dabei auf weitere extreme Forderungen. Die republikanische Partei will homosexuelle Ehen verbieten und in der Verfassung festschreiben, dass die Ehe nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden darf.

Aufmerksamkeit erregen auch die harschen Formulierungen zum Thema Einwanderung. Die republikanische Partei will eine Mauer beziehungsweise einen Zaun entlang der gesamten amerikanisch-mexikanischen Grenze errichten, sie will illegale Einwanderer des Landes verweisen und selbst deren Kindern kein bisschen Hilfe zukommen lassen.

In Wahlkampfzeiten, da beide Parteien um die Stimmen von Amerikanern lateinamerikanischer Herkunft buhlen, schrecken diese Passagen ab. Auf dem Parteitag in Tampa, Florida, wird man in der kommenden Woche sehen, ob Mitt Romney den Mut und die Kraft besitzt, sich von seiner Partei weg in die Mitte zu bewegen. Oder ob er seinem Ruf gerecht wird, ein Zauderer und ein Wendehals zu sein.

 

„Ich halte den rechten Flügel der Republikaner für Dschihadisten“

Country-Musiker Hank Williams jr. hat nie einen Hehl aus seiner tiefen Abneigung gegen Barack Obama gemacht. Im vergangenen Jahr verglich er den US-Präsidenten in einem Interview mit Fox News ungeniert mit Hitler. Später veröffentlichte er einen Song, in dem er Obamas USA als Socialist States of America beschreibt. Während eines Auftritts in Iowa hat er nun erneut seiner Wut freien Lauf gelassen: „Wir haben einen muslimischen Präsidenten, der die Landwirtschaft hasst, der das Militär hasst, der die USA hasst – und wir hassen ihn!“, schrie der Sänger in die Menge. Dafür erntete er unbändigen Jubel.

Sich damit inhaltlich auseinanderzusetzen, erfordert wenig Intellekt: Williams‘ Äußerungen sind einfach populistischer Unfug. Gewinnbringender ist da schon die Lektüre eines Interviews mit dem Schriftsteller Paul Auster. Der ist durchaus ebenfalls unzufrieden mit Obama oder hat zumindest ein gespaltenes Verhältnis zu seiner Politik, wenn er ihn auch weiterhin unterstützt. Gegen die konservativen Republikaner wettert er ohne Rücksicht. Aber wenigstens merkt man seinen Einschätzungen an, dass er nachgedacht hat. „Seine Politik ist nicht meine Politik, aber er ist mir verdammt viel näher als irgendein anderer, also stehe ich leidenschaftlich hinter ihm. Ich will verzweifelt, dass er gewinnt“, sagt Auster in dem Interview mit Salon über Obama. Aber: „Hat er mich enttäuscht? Natürlich hat er mich enttäuscht.“ Und weiter:

„Ich denke, er hätte die konservative Rechte ausbremsen können. Aber er hatte diese noble Vorstellung, alle zusammenbringen zu können, und er wusste nicht, dass er es mit Geisteskranken zu tun hat. Ich halte den rechten Flügel der Republikaner für Dschihadisten; sie sind genauso verrückt wie diese Leute. Sie wollen das Land zerstören, dass wir retten wollen. Und wissen Sie, sie tun das nicht mit Maschinengewehren und Bomben, sie tun es, indem sie geisteskranke Menschen wählen, die geisteskranke Gesetze machen, auf lange Sicht wird das genau so viel Schaden anrichten wie Bomben. (…) Ich bin für Obama, ich wünschte, er wäre anders, aber ich weiß, dass er unter den Umständen nicht anders sein kann. Jeder, der auch nur ein wenig weiter links stünde, hätte niemals eine Chance, die Wahl zu gewinnen. Also respektiere ich Obama. Aber ich denke, dass er eine merkwürdige doppelte Persönlichkeit besitzt: warm und kalt, mitfühlend und indifferent, hart und weich, alles zur selben Zeit. Und ich verstehe nicht wirklich, wer er ist.“

 

Obamas digitaler Vorsprung

Der Wahlkampf in den USA wird in nie gekanntem Ausmaß auch online ausgetragen. Mehr und mehr nutzen die Kandidaten digitale Tools, um sich an den traditionellen Medien vorbei direkt an die potenziellen Wähler zu wenden. Ihre Aktivitäten im Internet über einen Zeitraum von zwei Wochen Mitte Juni hat eine neue Studie  aus dem Project for Excellence in Journalism des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center untersucht. Mit dem Ergebnis: Barack Obama hat in dieser Hinsicht einen deutlichen Vorsprung gegenüber seinem Herausforderer Mitt Romney. Seine Kampagne ist auf fast doppelt so vielen Plattformen vertreten und postet viermal so viel Content wie das gegnerische Lager. Gleichzeitig ist auch die Resonanz darauf bei Obama wesentlich stärker: Im Schnitt doppelt so viele Menschen sehen, kommentieren und teilen seine Inhalte.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie:

  • Im digitalen Wahlkampf ist die Wirtschaft das Kernthema. 25 Prozent der Inhalte aus dem Romney-Lager beziehen sich darauf, 19 Prozent sind es bei Obama. Allerdings geht es bei Romney ausdrücklich um „Jobs“  fast doppelt so häufig, während sich Obamas Beiträge zu gleichen Teilen um Arbeitsplätze und eher grundsätzliche Wirtschaftsthemen drehen, etwa um die Notwendigkeit, in die Mittelklasse zu investieren, oder, warum die Wahl eine Entscheidung zwischen zwei ökonomischen Visionen ist.
  • Seit der Wahl vor vier Jahren hat sich die inhaltliche Agenda der Internetbeiträge gewandelt. Verschwunden sind demnach etwa Themen wie Veteranen, Landwirtschaft, Ethik, Irak oder Technologie. Dafür liegt ein neuer Schwerpunkt auf der Steuerpolitik. Und zwischen den beiden Lagern gibt es, was den Fokus anbelangt, weniger Überschneidungen als im vorigen Wahlkampf.
  • Die Kandidaten wenden sich stark dem Komplex Wirtschaft zu, bei den potenziellen Wählern liegt das größte Interesse aber offenbar in anderen Bereichen. So teilten die User Obamas Beiträge zur Einwanderungspolitik beispielsweise viermal so häufig wie jene zu Wirtschaftsthemen; bei Romney gab es unter anderem zur Krankenversicherung die meisten Reaktionen.

  • Die verschiedenen Kanäle sind für beide Wahlkampflager fast ausschließlich eine Einbahnstraße. Fast nie treten sie mit den Usern in einen Dialog, sondern sind offenbar nur an der Verbreitung ihrer Inhalte interessiert. Mitteilungen von Bürgern oder überhaupt von irgendjemandem außerhalb des Teams, beantworten, kommentieren oder teilen sie nur äußerst selten. Beispiel Twitter: Nur drei  Prozent der Tweets aus dem Obama-Lager waren Retweets externer Quellen. Bei Romney war diese Beobachtung sogar noch auffälliger: Während des zweiwöchigen Untersuchungszeitraums zählten die Forscher nur einen einzigen Retweet, das Original kam von Romneys Sohn Josh.
  • Die Websites der Kandidaten bleiben der Dreh- und Angelpunkt des digitalen Wahlkampfs. Die Autoren der Studie stellten fest: Selbst wenn jemand über ein soziales Netzwerk einsteigt, landet er meist früher oder später auf den Kandidatenseiten – um Geld zu spenden, sich dort in der Community anzumelden und als freiwilliger Wahlkampfhelfer zu registrieren oder um längere Beiträge zu lesen. Dass dies in voller Absicht passiert, zeigt etwa auch ein Redesign von Obamas Seite im Juli: Statt wie zuvor auf den YouTube-Kanal der Kampagne zu verlinken, sind die Videos nun direkt eingebunden, um die User nicht dorthin zu verlieren.
  • Obamas digitale Strategie ist viel stärker auf unterschiedliche Wählergruppen zugeschnitten als die von Romney. Wer etwa auf seiner Website einer von 19 Gruppen beitritt – etwa African-Americans, Latinos, Veterans/Military Families oder Young Americans –, erhält verstärkt dazu passende Inhalte. Romney hat nach Ende des Untersuchungszeitraums nachgezogen und bietet seiner Community jetzt 10 Gruppen an.