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Stürmisch

Die Republikaner wollen in Tampa, Florida, ihre Krönungsmesse für Mitt Romney zelebrieren, und ein Sturm hat die Tagesordnung bereits mächtig durcheinandergewirbelt. Von Süden naht Hurrikan Isaac, deshalb soll das Programm nun mit einem Tag Verspätung am Dienstag beginnen.

Doch diese Winde könnten geradezu harmlos sein im Vergleich zu den politischen Stürmen, die den Republikanern derzeit zusetzen. Und die sie selber losgetreten haben.

Vor ein paar Tagen noch sorgte ein republikanischer Politiker aus Missouri mit fatalen biologistischen Äußerungen über „wirkliche“ Vergewaltigungen, Schwangerschaften und das Recht auf Abtreibung für Aufruhr. Jetzt sorgt Barack Obamas Herausforderer Mitt Romney selber für einen Sturm der Entrüstung.

An diesem Freitag wahlkämpfte er in seinem Geburtsstaat Michigan. Vor einer johlenden Menge tat er kund, dass in seinem Fall noch niemand auf die Idee gekommen sei, ihn nach seiner Geburtsurkunde zu fragen. Denn alle Welt wisse ja, woher er stamme…

Tiefer kann man kaum sinken. Bewusst und gewollt umgarnte Romney mit dieser Bemerkung die extreme Rechte in seiner Partei. Die sogenannten Birther behaupten seit Jahr und Tag wider besseres Wissen, dass Präsident Barack Obama nicht in Hawaii, also nicht in den Vereinigten Staaten zur Welt gekommen und darum kein Amerikaner sei. Selbst die Vorlage einer amtlichen Geburtsurkunde des Krankenhauses konnte das fatale Gerücht nicht aus der Welt schaffen.

Zudem: Die Birther verfolgen mit ihrer Hetze sowieso ein weiteres, klar rassistisches Ziel. Indem sie in Zweifel ziehen, dass Obama in Amerika geboren wurde, wollen sie deutlich machen, dass dieser erste schwarze Präsident sowieso völlig unamerikanisch sei. Dass er kulturell und sozial nicht dazugehöre und seine Präsidentschaft ein Betriebsunfall sei.

Zwar hat sich Mitt Romney die Birther-Zweifel nie selber zueigen gemacht und sich von ihnen sogar öffentlich distanziert. Doch dass er jetzt mit ihnen spielt, ist charakterlos. Da war der Republikaner John McCain vor vier Jahren von anderem Kaliber.

Obama reagierte im Übrigen mit Humor auf die Anspielungen Romneys:

 

 

 

„Ich halte den rechten Flügel der Republikaner für Dschihadisten“

Country-Musiker Hank Williams jr. hat nie einen Hehl aus seiner tiefen Abneigung gegen Barack Obama gemacht. Im vergangenen Jahr verglich er den US-Präsidenten in einem Interview mit Fox News ungeniert mit Hitler. Später veröffentlichte er einen Song, in dem er Obamas USA als Socialist States of America beschreibt. Während eines Auftritts in Iowa hat er nun erneut seiner Wut freien Lauf gelassen: „Wir haben einen muslimischen Präsidenten, der die Landwirtschaft hasst, der das Militär hasst, der die USA hasst – und wir hassen ihn!“, schrie der Sänger in die Menge. Dafür erntete er unbändigen Jubel.

Sich damit inhaltlich auseinanderzusetzen, erfordert wenig Intellekt: Williams‘ Äußerungen sind einfach populistischer Unfug. Gewinnbringender ist da schon die Lektüre eines Interviews mit dem Schriftsteller Paul Auster. Der ist durchaus ebenfalls unzufrieden mit Obama oder hat zumindest ein gespaltenes Verhältnis zu seiner Politik, wenn er ihn auch weiterhin unterstützt. Gegen die konservativen Republikaner wettert er ohne Rücksicht. Aber wenigstens merkt man seinen Einschätzungen an, dass er nachgedacht hat. „Seine Politik ist nicht meine Politik, aber er ist mir verdammt viel näher als irgendein anderer, also stehe ich leidenschaftlich hinter ihm. Ich will verzweifelt, dass er gewinnt“, sagt Auster in dem Interview mit Salon über Obama. Aber: „Hat er mich enttäuscht? Natürlich hat er mich enttäuscht.“ Und weiter:

„Ich denke, er hätte die konservative Rechte ausbremsen können. Aber er hatte diese noble Vorstellung, alle zusammenbringen zu können, und er wusste nicht, dass er es mit Geisteskranken zu tun hat. Ich halte den rechten Flügel der Republikaner für Dschihadisten; sie sind genauso verrückt wie diese Leute. Sie wollen das Land zerstören, dass wir retten wollen. Und wissen Sie, sie tun das nicht mit Maschinengewehren und Bomben, sie tun es, indem sie geisteskranke Menschen wählen, die geisteskranke Gesetze machen, auf lange Sicht wird das genau so viel Schaden anrichten wie Bomben. (…) Ich bin für Obama, ich wünschte, er wäre anders, aber ich weiß, dass er unter den Umständen nicht anders sein kann. Jeder, der auch nur ein wenig weiter links stünde, hätte niemals eine Chance, die Wahl zu gewinnen. Also respektiere ich Obama. Aber ich denke, dass er eine merkwürdige doppelte Persönlichkeit besitzt: warm und kalt, mitfühlend und indifferent, hart und weich, alles zur selben Zeit. Und ich verstehe nicht wirklich, wer er ist.“

 

Outsourcer! Selber!

Mitt Romneys Umgang mit Kritik ist bemerkenswert. Zumindest versucht der Herausforderer von US-Präsident Barack Obama nicht platt, das Thema zu wechseln oder anderweitig abzulenken, wenn er angegriffen wird. Stattdessen folgt der Republikaner offenbar einer viel perfideren Strategie: Die eigenen Schwachpunkte kann man ruhig auch mal dem Gegner vorwerfen, besser noch in einem Atemzug für sich selbst als Stärke umdeuten.

Dabei greift er gern zu zweierlei Maßstäben. Etwa wenn es um die gigantischen Erweiterungspläne für seine Villa am Strand von San Diego inklusive Aufzug für Autos geht – nicht gerade ein Zeichen von Bodenständigkeit. Angesichts der Kritik daran, solche Errungenschaften regelmäßig als Zeichen seines großen Erfolgs und Verwirklichung des amerikanischen Traums zu verkaufen, erscheint clever. In den USA lieben sie Gewinnertypen. Im Jahr 2004 aber porträtierte er den damaligen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten John Kerry wegen seiner großen Häuser als abgehoben und fern der Sorgen des einfachen Mannes. Das ist schon dreist.

Und dieses Muster setzt sich nun im Wahlkampf um das Weiße Haus in unzähligen Varianten fort. Romney wird den Ruf nie so ganz los, ein weltfremder Multimillionär zu sein, der schon mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde und sich nicht für die Durchschnittsbürger interessiert. Natürlich ist das kein Anlass, auf ganz ähnliche Kritik an Präsident Obama zu verzichten. Der habe doch viel zu viel Zeit an der elitären Harvard-Universität verbracht, sei deshalb völlig „out of touch“. Dumm nur, dass Romney genau dort sogar zwei Abschlüsse gemacht hat, also viel länger blieb als Obama.

Meine Steuer, deine Steuer

Am besten lässt sich das Spiel mit den ungleichen Maßstäben derzeit an zwei Themen beobachten: an der Auslegung des Supreme-Court-Urteils zur Krankenversicherung und immer dann, wenn es um Jobs und die Wirtschaftslage geht.

Die Krankenversicherungspflicht aus Obamas großer Reform oder vielmehr die Strafzahlung für alle, die sich nicht versichern, ist in den Augen der höchsten Richter eine Steuer – nur so konnten sie die Vereinbarkeit mit der Verfassung begründen. Diese Einschätzung kommt Romney gerade recht, kann er Obama so doch eine Steuererhöhung vorwerfen. Allerdings bleibt der Republikaner die Erklärung schuldig, warum dann die sehr ähnliche Regelung zur Krankenversicherung, die er als Gouverneur von Massachusetts eingeführt hatte, eben keine Steuer gewesen sein soll. So zumindest sieht Romney die Dinge heute. Wühlt man etwas in den Archiven, stellt man fest, dass er damals sogar kurzzeitig selbst von einer Steuer gesprochen hatte.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Outsourcing amerikanischer Jobs ins Ausland. Obamas Wahlkämpfer haben sich mit einigem Erfolg darauf eingeschossen, Romney als Pionier auf diesem Gebiet darzustellen, der in seiner Zeit an der Spitze des Finanzinvestors Bain Capital massenhaft Arbeitsplätze vernichtet habe – die Washington Post hatte berichtet, dass Bain Capital unter seiner Führung stark in Unternehmen investiert hatte, die Jobs in Niedriglohnländer verlagerten, etwa nach China.

„Outsourcer-in-chief“

Grundsätzlich konnte Romney dies nicht abstreiten, also verhedderte er sich erst einmal in Wortklauberei: Outsourcing sei der falsche Begriff, Offshoring müsse es heißen, Arbeit in Übersee könne ja auch den amerikanischen Export stützen.

Am Ende aber warf der Kandidat Obama genau dasselbe vor: dass der Präsident mit seinem staatlichen Hilfspaket zur Ankurbelung der Wirtschaft eben auch zu verantworten habe, dass Jobs ins Ausland abwanderten. Vom Geld der Steuerzahler hätten auch viele Firmen profitiert, die im Ausland produzieren ließen. Die Republikaner gehen mittlerweile sogar so weit, ihn als „Outsourcer-in-chief“ zu bezeichnen, also genau jenen Titel aufzugreifen, den das Obama-Lager selbst in einer Anzeigenkampagne benutzt, um Romney zu diskreditieren. Das mag knapp an der Wahrheit vorbeigehen, denn das Stimulus-Gesetz beinhaltet ausdrücklich Regelungen, die sicherstellen sollen, dass die Mittel direkt amerikanischen Jobs zugute kommen.

Doch auf diese Art nimmt Romney den Angriffen wegen seiner Tätigkeit als Finanzinvestor einiges an Wucht. Mehr noch ist Obama auf diesem Feld durchaus angreifbar: Längst fordern Kritiker etwa, er müsse stärker auf Chinas Währungspolitik einwirken, um die Gefahr einer Abwanderung amerikanischer Arbeitsplätze zu verringern. Und dass seine Kampagne Marketingaktivitäten in großem Stil in Call Center im Ausland auslagert, macht seine Lage auch nicht besser.