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Was mein Leben reicher macht

Manchmal eine Zwangspause: Nur weil mich die Fußgängerampel auf der Mittelinsel am Weitergehen hinderte, fand ich die voll erblühte, duftende Rose auf der Straße.

Angelika Krieser, Berlin

 

Der Impfschein

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Die im Jahr 1840 siebeneinhalb Jahre alte Gesche Hansen war wohl meine Ururgroßmutter. Und geimpft wurde sie gegen die »Blattern«, ein alter Ausdruck für Pocken. Edward Jenner hatte in England im Jahre 1796 erstmals erfolgreich eine solche Impfung durchgeführt, aber erst 1980 konnte die WHO die Pocken endgültig für ausgemerzt erklären.

Benno R. Schwartz, Helmstedt

 

Fabelschön: Mein Wort-Schatz

Im Zimmer unserer zweijährigen Tochter ist es ungewöhnlich still. Ein Kontrollblick: Sie steht mit dem Rücken zu mir, vor ihr die ausgeräumte Kommode, hinter ihr auf dem Boden ein Kleiderchaos! Doch darin steckt Ordnung. Fein säuberlich voneinander getrennt auf Stapeln liegen Hosen, Bodys, T-Shirts, Pullis und Socken. Das einzuräumen wird dauern. Da dreht sich Johanna strahlend zu mir um und sagt: »Johanna macht das fabelschön!« Mir bleibt nur ein lachendes: »Ja!« Seither ist unser Wortschatz um dieses wunderschöne Wort reicher, wie fabelhaft!

Christiane Raig, Walchwil, Schweiz

 

Was mein Leben reicher macht

Mit meiner Freundin Christiane verbringe ich heiße und sonnige Tage in Lacanau-Océan an der Atlantikküste. Am vorletzten Morgen, ihrem Geburtstag, weckt sie mich mit Milchkaffee am Bett. Wann hatte ich das zum letzten Mal?

Susanne Lohmann, Bad Salzuflen

 

Aus meinem Garten

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Die Stockrosen blühen! Mit ihren fein geäderten, zartrosafarbenen Blättern öffnen sich die Blüten ganz zur Sonne hin. Ich hatte die samen im garten meiner groß- mutter gesammelt – wohl wissend, wie krank sie ist und dass sie bald vergangen sein würde, zusammen mit ihrem wunderbaren Blumengarten. Im vergangenen Jahr habe ich die samen auf meinem Balkon in die Erde gegeben. Bald wuchsen die kleinen Sprösslinge zu grünen Pflänzchen heran, und einige von ihnen überstanden sogar den langen Winter draußen, um schließlich, in ihrem zweiten Jahr, zu blühen – genau ein halbes Jahr nach dem Tod meiner Großmutter.

Franciska Klein, Freiburg im Breisgau

 

Was mein Leben reicher macht

Kürzlich in einem Hochhaus am Stadtrand von Berlin. Ich habe einen Besuch abzustatten, in der 8. Etage. Dabei fahre ich nicht gerne Fahrstuhl. Meistens spreche ich mit den Mitfahrenden, um meine Ängste zu zerstreuen. So auch diesmal. Im Fahrstuhl steht breitbeinig ein junger Mann in Kraftprotzkluft, Baseballcap, mit nicht gerade einladendem Gesichtsausdruck. Mein »Hallo!« erwidert er müde, und ich, mutig: »Ich find das blöd, dass hier kein Spiegel in den engen Kästen ist. Wenn der Fahrstuhl mal stecken bleibt, kann man sich wenigstens selber sehn!« Der junge Mann, nach einer kurzen Pause: »Für die meisten Menschen wär dit aber nich jut!« Ich muss lachen, und er lächelt mir zu.

Thea Bommer, Berlin

 

Was mein Leben reicher macht

Ein Dorf am Jakobsweg. 1100 Meter hoch, 30 Einwohner. »Meine« Herberge hat 25 Betten, ich bin die hospitalera, die Herbergsmutter. Die Pilger bekommen ein Bett, Abendessen und Frühstück. Aber Arbeit und Strapazen sind vergessen, wenn im Gästebuch steht: »Renate, Du bist der Hammer!«

Renate Babrikowski, Quickborn

 

Schussstiefel: Mein Wort-Schatz

Jetzt hat die Bundesligasaison wieder begonnen. Und da hoffen alle Fans, dass ihre Stars wieder die Schussstiefel anhaben werden. Obwohl heute von Stiefeln eigentlich ja keine Rede mehr sein kann, und jeder Star vom Hersteller schon seine Wunschschuhe bekommt, die an Weichheit und Fuß-Anpassung und Ball-Direkt-Feeling kaum zu überbieten sind.

Norbert Häfele, Hohenems, Österreich

 

Und jetzt?

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Ohridsee, Mazedonien. Eine ganze Weile schon spazierten wir durch die Stadt. Meine Freundin suchte einen Briefkasten für ihre Postkarten, während ich mit knurrendem Magen Ausschau nach einem Restaurant hielt. Da entdeckten wir dieses Plakat. Sollten wir nun die Postkarten oder vielleicht einen Bestellzettel in die Öffnung werfen? Wir entschieden uns dafür weiterzusuchen. Und waren in jeder Hinsicht erfolgreich.

Marlies Ebertshäuser, München

 

Die Gedanken waren frei

Update eines inkompatibel gewordenen Volkslieds 

Die Gedanken waren frei,
Man weiß jetzt, was wir denken.
Wir sind nur zu bereit,
Sie glatt zu verschenken.
Sie rasen in Massen
Durch gläserne Trassen,
Gefiltert und sortiert –
Und Obama spioniert!

Die Gedanken waren frei,
Man kann sie berechnen
Und speichert weit und breit,
Was wir so besprechen.
Wir liefern an Facebook
Alltäglichen Humbug,
Intimes und noch mehr –
Und dann wundern wir uns sehr!

Die Gedanken waren frei,
Es droht ein Debakel:
Die Gedankenpolizei
War Orwells Orakel.
Und meine Gedanken
Erkennen die Schranken
Und bleiben dabei:
Wir waren einmal frei!

Oliver Rötting, Frankfurt am Main