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Was mein Leben reicher macht

Der ältere Herr im Rollstuhl, draußen vor dem Seniorenwohnheim. Wenn ich mit meinen Klassen auf dem Weg zum Sportplatz bin, winkt er uns immer zu und ruft: »Viel Spaß beim  Sport!« Wir winken gern zurück und vermissen ihn schon, wenn er einmal nicht da ist!

Dirk Kubatzki, Arnsberg

 

Zeitsprung

2001

2011

Vor 20 Jahren wurde unser Sohn Jonas geboren, vier Jahre später unsere Tochter Marie. Der Wesenskern der Kinder, das Originelle und Individuelle, war vom ersten Tag an zu spüren und zu sehen. Seitdem wachsen sie in diese mitgebrachte Form und füllen sie mit ihrer eigenen Art. Als Eltern können wir diese Entwicklung meistens nur beobachten. Das Empfangen wird zum Betreuen, bald zum Begleiten, dann zur Unterstützung. Was folgt, ist das loslassen, der Abschied, das Freigeben neuer Räume. Jonas und Marie hatten immer ihren eigenen Platz in der Familie und sind einander als Geschwister sehr verbunden. Die beiden Bilder zeigen einen Zeitsprung von 2001 nach 2011, und eigentlich war beim ersten Bild schon abzusehen, wie es zehn Jahre später sein würde. Vor wenigen Tagen haben wir unseren Sohn in sein »Freies Soziales Jahr« verabschiedet, das er in einem Favelaprojekt in São Paulo absolvieren wird. Kurz vor Schluss wurde es noch einmal turbulent in der Familie, vieles war noch zu organisieren, zu regeln und zu übergeben. Alle waren gut vorbereitet, die Zeit war reif, und es war eine Freude, Jonas gehen zu sehen.

Kurt Friedrich, Darmstadt

 

Was mein Leben reicher macht

Mein Mann und ich besuchen Breslau. Wir gehen durch die Straßen und schauen bewundernd hoch zu den Fassaden. Da eilt ein junger Mann an uns vorbei, dreht sich um und sagt:  »Schöne Stadt, ja?« Ich sage: »Wunderschöne Stadt!« Er, im Rückwärtsgehen und ganz stolz: »Is majne Stadt!« Ich: »Meine Mama ist auch von hier. Und meine Oma.« Er geht ein paar Schritte weiter, dreht sich noch mal um, kommt her zu mir: »Wie hajßt du?« Ich: »Sybilla.« Er strahlt mich an mit seinem hübschen Gesicht: »I bin Adam!« Und weg ist er.

Sybille Dörner, Bad Wörishofen

 

Was mein Leben reicher macht

Wenn meine Frau mich, ihren Mann, gelegentlich auch Frau sein lässt, sie mir schmale, lange Röcke und andere schöne Sachen näht und sie mich darin bewundert, dann fühle ich mich mit all meinen Facetten geliebt und reicher als alle Millionäre dieser Welt.

Tua Herbst, Oldenburg

 

Der Stinker

(Nach Johann Wolfgang von Goethe, »Der Fischer«)

Der Motor rauscht’, der Motor schwoll,
Am Steuer saß der Mann,
Sah nach der Ampel ruhevoll,
Kühl bis ans Herz hinan:
Und wie er sitzt, und wie er lauscht,
Zum Himmel blickt empor,
Kommt aus dem Gehweg wie ein Geist
Ein fremdes Weib hervor.

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
Was pestest du die Luft
Mit deines Wagens grauem Dunst,
Mach ihn nur aus, du Schuft!
Ach wüsstest du, wie gut es ist
Für Umwelt und Natur,
Du stiegst heraus, so wie du bist,
Und gingst zu Fuß auf Tour.

Liebst du die grüne Wiese nicht,
Die Felder und das Meer?
Liebkost der Wind nicht dein Gesicht,
Erfrischt dir Geist und Herz?
Freut dich der blaue Himmel nicht,
Des Regens frisches Nass?
Lass ab von deiner Unvernunft
Und nimm den Fuß vom Gas!

Der Motor rauscht’, der Motor schwoll,
Es zuckt’ und ruckt’ sein Fuß;
Das Weib vom Gehweg, ist es toll,
Dass es ihn mahnen muss?
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war es schon geschehn:
Die Ampel schaltet schnell auf Grün,
Er ward nicht mehr gesehn.

Dorothee Kremer, Frankfurt am Main

 

Was mein Leben reicher macht

Nach einem anstrengenden Nachtdienst nicht ins Bett gehen, sondern aufs Mountainbike steigen. Auf einen Berg fahren und bei strömendem, warmem Sommerregen wieder ins Tal rollen.  Danke, Daniel, für deine Motivation!

Karina Kösel, Freiburg

 

65 Jahre DIE ZEIT

In Hamm in Westfalen erfüllte Christoph Dieckmann den Wunsch des ZEIT-Lesers Klaus Engels: Der Autor und Reporter der ZEIT berichtete im Gerd-Bucerius-Saal im Heinrich-von-Kleist-Forum über seine Kindheit und sein Erwachsenwerden in der DDR. Christoph Dieckmann wurde 1956 in Rathenow (heute Brandenburg) geboren, wuchs am Harz in einem Pfarrhaus auf und studierte später selbst Theologie. In Hamm las er vor rund 50 Zuhörern aus seinen Büchern „Volk bleibt Volk“ und „Mich wundert, daß ich fröhlich bin. Eine Deutschlandreise“, vermischt mit spannenden Anekdoten und Gesangseinlagen aus seiner Jugend.

Christoph Dieckmann liest aus seinem Buch

Im Anschluss stellte er sich den Fragen der Zuhörer – beispielsweise ob ein Theologiestudium in der DDR Nachteile mit sich gebracht hätte, ob eine Stasiakte über ihn existiere, ob er je geplant habe, in den Westen zu fliehen. Den Schülern gefiel diese Form von Geschichtsunterricht: „Mich hat vor allem die Sichtweise, aus der berichtet wurde, interessiert, da wir eine ähnliche Gelegenheit noch nicht hatten“, berichtet eine der Anwesenden.

Christoph Dieckmann stellt sich den Fragen der Zuhörer in Hamm

 

Was mein Leben reicher macht

An einem Werktag, deutlich zu früh, im Zug auf dem Weg zur Arbeit. Ich döse mit geschlossenen Augen vor mich hin. An einem größeren Umsteigebahnhof tippt mir ein etwa 15-jähriger Schüler vorsichtig auf die Schulter: »Entschuldigung, müssen Sie hier vielleicht auch aussteigen? « – »Nein, aber danke fürs Wecken!« antworte ich. Mit einem Lächeln auf den Lippen setze  ich die Fahrt fort.

Nicole Berger, Sandhausen, Baden-Württemberg

 

Zu DDR-Zeiten: Mein Wort-Schatz

»Diese Hütte hier, die war zu DDR-Zeiten beheizt.« Zu DDR-Zeiten – auch so eine Redewendung, die aller Voraussicht nach in zehn, zwanzig Jahren ausgestorben sein wird. Heute aber höre ich sie noch viel hier in den neuen Ländern; mir, der Zugezogenen gegenüber, aber erst wenn der Sprecher sich von meiner Harmlosigkeit überzeugt hat. Oder wenn er austesten will, wie ich wohl reagiere. Dann schaut man mir in die Augen, die Worte haben einen trotzigen Ton, und ich kann nur spekulieren, weshalb. Meist aber sind es junge Leute, denen mit  diesen Worten erklärt wird, wie es früher war, vor der Wende. Ich nehme an, für diese jungen Leute ist es ähnlich spannend wie für meine Generation, wenn der Vater oder Großvater eine Erzählung mit den Worten »Damals, nach dem Krieg…« eingeleitet hat. Für mich heute aber öffnet die Redewendung »in DDR-Zeiten« ganze Welten, die große Geschichte in  kleinen, privaten Mosaiksteinchen. Es schwingt mit: Erinnerung, manchmal wehmütig. Erschrecken, dass man verdächtigt werden könnte, ostalgisch zu sein und die alte Zeit  wiederhaben zu wollen. Dann wird schnell ein »Aber heute ist das ja glücklicherweise anders geregelt« nachgeschoben. Oder, wie im angeführten Fall, es spricht daraus auch der Stolz, dass etwas damals besser war, die Verwunderung, dass etwas heute, in den doch so viel bequemeren Zeiten, unbequemer geworden ist. Wer diese Redewendung benutzt, sagt damit  eigentlich: »In meiner Jugend«. Und es sind nur Leute aus derselben Generation, aber von der anderen Seite der Mauer, die verstehen wollen, wie das damals war.

Charlotte Bensch, Weimar