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Gewerbchen, Rumbosseln: Mein Wort-Schatz

Es gibt Momente, da gehen Männer ihrer Ehefrau lieber aus dem Weg, etwa wenn sie noch nicht fertig ist zum Ausgehen. Mein Schwiegervater, aus Sachsen stammend, machte sich dann gerne ein Gewerbchen: Er tat irgendwas Unwichtiges, um die Wartezeit nicht ganz nutzlos abzusitzen. Mein schwäbi- scher Vater besann sich in gleicher Lage aufs Rumbosseln. Auch das bestand im Rumhantieren mit Kleinigkeiten, konnte aber, mit unbestimmtem Ziel, auch beliebig ausgedehnt werden, um mal eine Weile ganz für sich zu sein.

Birgit Dietrich, Sindelfingen

 

Was mein Leben reicher macht

Auf dem Weihnachtsmarkt erhalte ich per Telefon die Zusage zu meinem ersten (Traum-)Job. Meine Freunde jubeln so laut, dass sich die umstehenden Personen irritiert zu uns umdrehen. Schade, dass ich diese Freunde nun bald hier zurücklassen muss – aber mit vielen wunderbaren Erinnerungen im Gepäck.

Katharina Weber, Göttingen

 

Hinter ihm Himmel und Meer

Die Schwester unserer spanischen Freundin Blanca hat ein Gedicht über ihren Nachbarn in Südspanien verfasst. Es zeichnet ein wunderbar eingängiges Bild von einem Mann, der demenzkrank ist. Ich riet Blanca, sie solle sich zusammen mit Carmen, ihrer Schwester, an eine deutsche Ü bersetzung machen. Das haben die beiden nun getan und über zwei Monate daran herumgedrechselt. Hier sind beide Varianten:

El verano que observé

Un día sintió la necesidad
de sentarse al revés
detrás quedaban mar y cielo
delante, la mirada fija
en las losas verdes del salón

dentro no ocurría nada
sin embargo él habia decidido
sin más, dar la espalda al horizonte.

El verano que observé que José María no era el mismo

Der Sommer, als ich sah

Eines Tages verspürte er den Drang,
sich andersherum zu setzen.
Hinter ihm Himmel und Meer,
vor ihm, fest im Blick,
die grünen Fliesen des Salons.

Drinnen geschah nichts,
und dennoch hatte er entschieden,
dem Horizont den Rücken zu kehren.

Der Sommer, als ich sah, dass José María nicht mehr er war.

Carmen de Castillo-Elejabeytia

Wolfgang von Renteln-Kruse, Hamburg

 

Was mein Leben reicher macht

Nach zwei anstrengenden Tagen in den Tempelanlagen von Angkor Wat im Hotel anzukommen und allein im beleuchteten Swimmingpool unter dem tropischen Nachthimmel seine Bahnen zu ziehen.

Markus Friedrich, Zeuzleben, Bayern, zzt. Siem Reap, Kambodscha

 

Was mein Leben reicher macht

Ich bin zu Besuch bei lieben Freunden. Am Morgen des dritten Advents gesellt sich die Tochter meiner Freundin zu uns. »Mama«, fragt sie, »woher weiß eigentlich das Christkind immer, was ich mir so wünsche?« Meine Freundin findet, dass es nun an der Zeit sei, ihrer zehnjährigen Tochter die Wahrheit über das Christkind zu sagen – verbunden mit der Bitte, der kleinen Schwester nichts davon zu verraten. Die Zehnjährige hört zu. Und fragt nach ein paar Minuten: »Mama, weiß eigentlich Papa das schon mit dem Christkind?«

Agnes Streber, Gröbenzell, Oberbayern

 

E Silbern Nixche Un E Golden Watteweilche: Mein Wort-Schatz

Wenn in der Adventszeit der Himmel bei Sonnenuntergang in Abendrot getaucht ist, dann denke ich an meinen vor acht Jahren verstorbenen Vater, der mir als Kind in einer solchen Situation gesagt hat: »Jetzt backt es Christkindche Plätzchen.« (Ich stamme aus Mömbris in Bayern, nahe der hessischen Grenze.) Und wenn wir Kinder gefragt haben, was wir denn an Weihnachten bekommen, dann antwortete mein Vater, verstohlen grinsend: E silbern nixche un e golden Watteweilche: Mein Wort-Schatz. Also ein silbernes Nichtschen und ein goldenes Warteinweilchen. Ich liebe diese Erinnerung, weshalb sich auch meine beiden Töchter in der Vergangenheit schon öfter mit dieser Antwort zufriedengeben mussten.

Martina Fleischmann, Obernzenn (Franken)

 

Was mein Leben reicher macht

An einem regnerischen Sonntagvormittag den vollen Zeitungskorb auskippen, alles, was man unbedingt noch lesen wollte, auf einen großen Stapel packen und in die Papiertonne werfen. Luft holen und Zeit haben für Neues.

Ina Seeberg, Essen

 

Was mein Leben reicher macht

Fahrt mit der S-Bahn von Heidelberg nach Stuttgart. Ein Großvater liest seiner etwa zweijährigen Enkelin Bilderbücher vor. Die Kleine bekommt nicht genug. »Eines habe ich noch«, sagt der Opa, »es geht um den kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat.« »Kacka«, sagt die Kleine begeistert. Opa fängt an zu lesen.
Die junge Frau neben mir lässt ihre Zeitung sinken, ein gestandener Mittvierziger gegenüber schmunzelt, und je länger die Suche des kleinen Maulwurfs nach dem Übeltäter dauert, umso stiller wird es in dem relativ voll besetzten Abteil des Regionalzuges. Der Großvater bekommt nicht mit, dass er nicht nur seine Enkelin, sondern ein ganzes Zugabteil über das »Kacka« verschiedener Tiere aufklärt. Für einen Moment sind wir alle Kinder.

Ursula Nuber, Ladenburg bei Heidelberg

 

Spinksen: Mein Wort-Schatz

In der Kindheit kommt es dann und wann vor, dass man gebeten wird, die Augen zu schließen. Etwa wegen eines Kartentricks oder beim Versteckspielen. Was einen dann aber oft erst recht dazu verführt, kurz zu spinksen – also einen Blick durch die fest verschlossenen Augendeckel zu riskieren. Spinksen ist ein großartiges Wort, es steht für mich für die Unbefangenheit der Jugend. Oder haben Sie schon mal einen erwachsenen Menschen spinksen sehen?

Leonard Missbach, Istanbul, Türkei