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Sonntage mit Ahmed

Mein kleiner Freund Ahmed. Als er ein Baby war, musste seine Familie Somalia verlassen. Jetzt ist er zehn, und ich bin seine „Schulpatin“. Ich unterstütze ihn auf seinem Weg als Gymnasiast, und jeden Sonntag unternehmen wir etwas Schönes: Wir gehen ins Museum, wir besuchen meine 89-jährige Mutter, wir laufen Schlittschuh, backen Kuchen – uns fällt immer etwas ein. Wenn er Samstags voller Vorfreude anruft: „Wann kommst du morgen? Was machen wir?“, dann geht mir das Herz auf.

Bettina Horstmann, Bonn

 

Kuchenlied

nach Matthias Claudius „Abendlied“

Der Teig ist aufgegangen,
Es glühen meine Wangen
So hat mich das erfreut;
Ich musst es einfach wagen,
Und hab ihn fest geschlagen,
Drum ist er rund nun und so schön!

So legt nun, Schwestern, Brüder,
In Gottes Namen wieder
Den Teig jetzt auf das Brett!
Dort kann er endlich ruhen.
Und ich schlüpf aus den Schuhen
Und geh zufrieden in mein Bett.

Dorothea Pouw, Karlsruhe

 

Der Zollstock

Nach Lessing: „Klopstock“

Wer wird nicht einen Zollstock loben ?
Doch als zerbroch’nes Wesen ? – Nein.
Zum Messen will er ganz erhoben
Und vorsichtig entfaltet sein.

Hermann Möllering, Hildesheim

 

Am Geburtstagstisch

Nach Heinrich Heine „Sie saßen und tranken am Teetisch“

Sie aßen westfälisch an Tischen
und sprachen vom Essen viel.
Die Damen in buntesten Rüschen
und Herren auf zartem Gestühl.

Die Torte muß sein gehaltvoll,
die dicke Mamma sprach.
Der Pappa, der ächzet geräuschvoll,
sein Kragen gibt leider nicht nach.

Die Dame schwatzt über Gesundheit,
von Obst und Quark und von Müsli,
und öffnet: „Protest!“ ihren Mund weit
zum Koch hin mit ernsthaftem Grüßli.

Ihr Gatte verkneift sich großmütig
das Schlemmen, die alte Passion.
Madame ist zu Haus nicht so wütig.
Am Ende, was macht es denn schon?

Die Omma schwärmt lauthals vom Pickert,
den Oppa so gerne einst aß.
Die Kleine hat heftig gekichert,
ihr wurden die Äuglein ganz naß.

Ihr Wunschpunsch hat andre Geschmäcker,
sie hat ihres Liebsten gedacht.
Da kennt sie ganz anderes Lecker
zur Nacht, ja, zur künftigen Nacht.

Urte Skaliks-Wagner, angeregt durch: Christel Lechner, Tisch-Installation in der Ausstellung „Alltagsmenschen“

 

Vorfreude auf den Frühling

Der Pavillon, den meine Kinder mir geschenkt haben als Dank dafür, dass ich mich während ihres sechsjährigen Aufenthaltes in Afrika um ihre Angelegenheiten hierzulande gekümmert habe. Und der jetzt unseren Garten ziert und meine Freude auf den Frühling noch erhöht.

Helga Schmitz, Mülheim/Ruhr

 

Wiedergefunden: Ein seltenes Wort

Im Juli 1971 war ich auf Verwandtenbesuch in Kanada und schickte diese Geburtstagskarte an meinen Vater.

„Auch wenn ich keine Worte mach,
merkst Du doch sicherlich,
wieviel Du mir bedeutet stets.
Vater, ich liebe Dich!“

so hatte ich den zweiten Teil des Gedichts übersetzt. Als mein Vater im Jahr 2002 starb, fand ich die Karte in seinem Schreibtisch. Immerhin 31 Jahre hatte er sie aufbewahrt! Dabei hat er mir als zurückhaltender Norddeutscher nie gesagt: „Ich habe dich lieb.“ Und ich auch nie, außer auf dieser Karte. Aber wir wussten es voneinander – ohne Worte.

Sylvia Börgens, Wölfersheim

 

Düsseldorfer Highlands

Später Winter. Ich fahre zur Weide, um meine Lieblinge zu besuchen – erst die Rinder, dann die Kinder, wie meine Tochter einst durchaus verständnisvoll bemerkte – die eine oder andere langhaarige Schönheit vielleicht zu kämmen, den mir entgegen gereckten Hals zu kraulen. Die Kuhkulleraugen sind dabei voll Wonne weggedreht und sehen nicht den finster bewölkten Himmel. Doch eh ich so recht loslege mit der Highland-Pflege sehe ich das Wunder aus der etwas abseits liegenden Gefährtin: ein frisch geborenes Kalb, noch feucht und klebrig in der Nähe der wärmenden Mutter. Hinrennen, ja -fliegen, nach dem Geschlecht sehen, gleich anfangen, einen Namen zu ergrübeln, ach, welch eine Freude, welcher Jubel in mir! Und abends der Begrüßungswhisky, einer für einen Bullen, zwei für ein Rind. Geschlechtergerechtigkeit gibt es auch hier nicht, auf meiner Weide in den Düsseldorfer Highlands.

Dr. Annemarie Neumann-Kleinpaul, Düsseldorf

 

Delirium

Nach „Freudvoll und leidvoll“ von J.W.Goethe

Freudvoll
Und fast voll,
Hackevoll sein,
Trinken
Und sinken
Im Mondenschein,
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrübt,
Glücklich allein
Im Koma ich lieg‘.

Von Frauke, Sophia und Daniela. Herzlichen Gruß von der Deutschlehrerin Anne Gleich-Trauboth

 

Eine kleine Weltreise (7)

… aus traurigem Anlass unternimmt Sabine Kröner, 55: Im vergangenen Jahr ist ihr Mann in den Freitod gegangen, jetzt will sie durch neue Eindrücke Abstand gewinnen. Sie ist nach Buenos Aires geflogen und per Schiff um die Südspitze Amerikas gefahren. Weiter geht es durch die Südsee nach Australien, Indonesien, Malaysia, Myanmar, Indien und durch den Sueskanal bis nach Venedig.

Nach Landgängen in Puerto Montt und Valparaiso mit beeindruckenden Naturerlebnissen haben wir die chilenische Küste verlassen und sind in den offenen Pazifik abgebogen. Dieses angeblich „friedliche Meer“ sorgt an Bord für sehr viel Unfrieden. Beim Abendessen war das Restaurant nur schwach besucht, dafür der Schiffsarzt gut frequentiert. Fast jeder trägt ein Pflästerchen hinterm Ohr – ich noch nicht! Festliche Kleidung war zum Dinner angesagt. Aus irgendwelchen Gründen – denke mal, es war der hohe Seegang – blieb sie aber beim Großteil der Gäste im Schrank. Ich habe mich bemüht, sie anzulegen. Zwischen aufspringenden Schrank- und Badezimmertüren ist das Make-up etwas verrutscht. Die Stöckelschuhe im Liegen angezogen, hab ich dann aber doch, immer an der Wand lang, den Weg in die Lounge gefunden. Die Kreuzfahrtleiterin hatte nämlich als beste Medizin gegen Seekrankheit einen Wodka empfohlen.

Nach einem kurzen Stopp auf der Robinson-Crusoe-Insel erwarten mich nun einige Seetage mit hoffentlich ruhigerer See. Die Aktivitäten an Bord finden zurzeit unter erschwerten Umständen statt: Aus Sicherheitsgründen sollte man einen Umweg um die Dartsscheibe machen und beim Tangokurs feste Schuhe tragen. Die Collagen der kreativen Gruppe bekommen ein ganz ungewolltes Eigenleben, nur Bingo bleibt Bingo, sofern man das richtige Kästchen trifft. Bewundernswert die Stewards, es ist noch nichts zu Bruch gegangen. Der Kapitän hält uns mit Durchsagen in stoischer Ruhe bei Laune: „Genießen Sie die Reise und genießen Sie das Leben!“ Und wenn’s einen überkommt, dann bitte nach Lee!

Sabine Kröner, zzt. 33° 08′ Süd, 81° 05′ West