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Widerrede

(Nach Rainer Maria Rilke, »Herbsttag«)

Herr: gib mir noch Zeit. Den Sommer lass ich
ungern los.
’nen Schatten brauch ich höchstens in der Kur,
und auf den Fluren stör’n die Winde nur.

Befiehl den Gärten, dass sie uns weiterhin
erfreu’n;
schenk uns noch viele südlichere Tage.
Und das Rot der Kapuziner, es trage
noch weit in dieses Jahr hinein.

Wer jetzt schon auf die Leichtigkeit
verzichten muss,
wird unbeweglich werden, voll Verdruss.
Und wird auf seinem Tablet rastlos hin und her
bei Google, Facebook, YouTube kreuz und quer
nach Leben suchen, wenn die Blätter fallen.

Ute Schwarting, Plüderhausen, Baden-Württemberg

 

 

Fragen einer Goethe lesenden Frau

(Nach Bertolt Brecht, »Fragen eines lesenden Arbeiters«)

Wer schrieb den vielgerühmten »Faust«?
In den Büchern steht der Name von Goethe.
Warum gab es zu seiner Zeit kaum schreibende
Frauen?

Und den oft von Krisen geschüttelten Dichter –
Wer baute ihn so viele Male wieder auf? Bei wem
Im gastlichen Weimar suchte er Zerstreuung?
Wohin ging an dem Abend, als der »Faust«
beendet war,

Sein Schöpfer? Das kleine Weimar
Ist voller Denkmäler. Wo steht
Ein Denkmal für Goethes Geliebte?
Der gute Goethe reiste nach Italien.
Wohin reiste seine Frau?
Jedes Goethewerk ein Triumph.
Wer kochte den Festschmaus?
Goethe war ein großer Mann.
Wer bezahlte dafür?

So viele Frauen,
So viele Fragen.

Silvija Rink, Uttenreuth, Mittelfranken

 

 

Mit dem Fahrrad auf Tour

(Nach Erich Kästner, »Im Auto über Land«)

An des Herbstes nassen Tagen
ist der Himmel sozusagen
wie aus grauem Packpapier.
Und er lässt von ganz weit oben
Tropfen auf uns niedertoben.
Ob er weiß, wir fahren hier?

Der Radler fühlt sich nicht gehoben,
dauernd blickt er schräg nach oben,
spricht ein lautes: So ein Mist!
Nass wird es auf allen Wegen,
nässer er von all dem Regen,
schließlich wird er Fatalist.

Wütend tritt er in die Pedale,
träumt vom warmen, trockenen Saale,
und den Pedalen geht es schlecht.
Wir schließen mit dem Sturm Bekanntschaft,
erblicken gar nichts von der Landschaft.
Und der Landschaft ist es recht.

Uns’re Wut nach Kräften pflegend
und uns rhythmisch fortbewegend,
strömen wir durch das Revier.
Manchmal meldet sich der Magen,
und wir hör’n uns alle sagen:
»Warum sind wir denn nur hier?«

Im Hotel dann angekommen,
wird ein Essen eingenommen,
und das Fahrrad ruht sich aus.
Bedröppelt schauen wir nach draußen,
sehen dort das Wetter hausen,
und morgen müssen wir wieder raus.

Gerd Hupfeld, Eschwege, Hessen

 

Hör, sie plagt die Nachbarn wieder

(Nach Clemens Brentano, »Hör, es klagt die Flöte wieder«)

Hör, es klagt die Flöte wieder,
Irgendjemand ist am Üben.
Sonaten spielt man und auch Lieder:
Die Töne kommen aus dem Trüben!

Holdes Bitten, mild Verlangen,
Dieses Tun bald zu beenden,
Erfleh’n die Nachbarn, voller Bangen.
Doch tönt es weiter aus den Wänden.

Wolfgang Teubner, Herrenberg

 

Der Panker

(nach Rainer Maria Rilke, »Der Panther«)

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Schaben
so müd geworden, er hält nichts mehr aus.
Auch nicht sein Bier, wo sich nun Schaben laben
und neben tausend Schaben eine Laus.

Die Punker-Gang vorm Bahnhof Würzburg-Mitte,
die sich zum Sound vom Ghettoblaster dreht,
schwoft einen Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der, wie schon erwähnt, die Schabe steht.

Die Schabe aus der Mitte ruft: »Pass auf, Claus!
Sonst kommt noch dein Gedicht vom Thema ab.«
»Der Panker sollt es heißen!«, sagt die Spitzmaus.
»Und nicht Brehms Tierleben, du alter Dapp.«

Claus Caraut, Oberscheinfeld, Mittelfranken

 

Ich kann nicht mehr

(nach Bertolt Brecht, »Sonett Nr. 19«)

Nur eines möcht ich nicht: gebunden sein.
Will dich nur hören, wenn du nichts beklagst.
Bin froh, wenn du zu manchem nichts mehr sagst.
Ich wünschte mir, dir ging es gut allein.

Und wärst du einsam, möcht ich dich nicht sehn.
Zum Urlaubmachen bin ich gern bereit.
Auch ohne dich verbring ich gerne Zeit.
Hab Angst, mit so viel Liebe umzugehn.

So gilt kein »Halt mich, gib mir deine Nähe!«
So gilt kein »bleib!« und nur ein »wolln mal sehn«.
Verantwortung, zu der ich nicht mehr stehe.

Du weißt, ich bin mit dir nicht wirklich frei
Das aber brauche ich, wie’s immer sei.
Ich kann nicht mehr, wie soll das weitergehn?

Heike Hagemeister, Heroldsbach, Oberfranken

 

Das Fräulein stand im Parke

(Nach Heinrich Heine, »Das Fräulein stand am Meere«)

Das Fräulein stand im Parke
Und seufzte lang und schwer,
Es rührte sie so arge
Der Blattfall ringsumher.

Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Im Herbst, da fallen sie runter
Und kommen im Frühling zurück.

Elsa Zettelmann, Köln

 

Nachschlag

(nach Rainer Maria Rilke, »Herbsttag«)

Herr: lass dir Zeit. Der Sommer war nicht groß,
Nimm deinen Schatten von den Sonnenuhren,
und von den Wolken mach den Himmel bloß.

Erlaub den Frauen, doch noch braun zu werden;
sie brauchten wenigstens zehn südlichere Tage,
noch besser zwölf. Ach ja: und jage
noch ein paar Oechsle in den sauren Wein.

Gib Hinz und Kunz noch Zeit, ihr Haus zu bauen,
und mir die Chance, nicht allein zu bleiben.
Ich bin es leid, das Lesen, Briefeschreiben.
Möcht es mit Lou, mit Magda oder Claire
entblößt am Strand und in den Wellen treiben.

Dietrich Hucke, Jena

 

Kompost der Welt

(nach Joseph von Eichendorff, »Komm, Trost der Welt«)

Kompost der Welt, du schwere Fracht,
Wie rutschst du aus dem Eimer sacht!
Die Lüfte, all die scharfen!
Ich pfeif, von Küchenarbeit müd,
Ein leises, kleines Abendlied,
Die Kinder längst schon schlafen.

Die Jahre wie die Wolken gehn
Und lassen mich hier einsam stehn
mit dem, was nicht verzehret.
Da kam viel Kleingetier zu mir,
wenn ich im Gartenwinkel hier
gedankenvoll geleeret.

Kompost der Welt in stiller Nacht!
Und alles, was uns Sorgen macht,
kommt auch auf diesen Haufen.
Ach, könnten wir in aller Ruh
auch noch in vielen Jahren zu
solch einem Haufen laufen!

Christoph Noth, Ammerbuch-Entringen

 

lulus uhu

(nach Ernst Jandl, »ottos mops«)

lulus uhu ruht
lulu: huhu uhu
lulus uhu ruft
lulu: gut uhu

lulus uhu rupft
lulus uhu murrt
lulu: du du du
lulus uhu pupst
lulu: puuuh

lulus uhu zuckt
lulu schluchzt: uhu
uhu lulus uhu guckt
lulus uhu gluckst
lulu juchzt: juhuu

Daniela Schaller, Potsdam