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Edes Elch

(nach Ernst Jandls „Ottos Mops“)

edes elch stresst
ede: weg elch weg
edes elch geht weg
ede: neenee

ede sperrt steg
ede sperrt see
ede denkt
ede: elch elch
ede jeck

edes elch bellt
ede: her elch her
edes elch rennt
edes elch trenzt
ede: hehehehe

Brunhild Bast, Lambsheim, Rheinland-Pfalz

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Hälfte des Urlaubs

(Nach Friedrich Hölderlin, »Hälfte des Lebens«)

Mit blauen Trauben hänget
Und voll mit reifen Feigen
Das Land in das Meer.
Ihr trägen Touristen,
Versunken ins Nichtstun
Tunkt ihr den Leib
Ins blaugrünsalzige Wasser.

Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Sonne, und wo
Den frischen Wein
Und Früchte des Meeres?
Die Autos stehn
Ächzend und heiß, am Strande
Wandern die Wellen.

Beatrix Nüscheler-Doppler, Erlenbach, Schweiz

 

Siehst du das Meer?

(Nach Hugo von Hofmannsthal, »Siehst du die Stadt?«)

Siehst du das Meer in seiner ganzen Wut,
Und was seit Tagen schon es mit uns macht?
Vor Sonnenbränden war’n wir auf der Hut,
Mit Cremes der Stärke 30, falls die Sonne lacht.

Stattdessen treibt ein Zyklon Wolken vor sich her,
Nunmehr schon ein, zwei Wochen lang:
Aus ihnen fällt ein Tropenregen schwer,
Und pfeifend tönt um unsre Hütte sein Gesang.

Das schwarze Grau der Tage wird zur Pein,
Zur Pein Moskito-Stich und Schweiß der Nacht.
Kann Urlaub wirklich so verdorben sein?
Ach, hätte man zu Haus ihn doch verbracht!

Kurt Wagner, Bonn

 

Erinnern und VergEssen

(nach Bertolt Brecht, »Erinnerung an die Marie A.«)

Es war im Mai bei einem Bienenhause
Dass ich die kleinen weißen Sprossen sah
Sie warn so bleich und gleichsam todumfangen
Als ich sie aufaß, war ich nicht mehr da.

Es gibt davon noch ungeheuer viele,
Denn auch die Bienen schwärmen hin und her
Die Sprossen sprießen blass und krumm und
traurig,
Dass man sie aufisst, ohn’ zu wissen mehr.

Wo ich sie aß, das kann ich nicht mehr sagen
Doch wie sie schmeckten, weiß ich vom
Verzehr
Sie schmeckten weiß, morbid und
melancholisch
Sie schmeckten einfach wie von unten her.

Christa Herterich, Köln

 

Tour de Farce

(Zur Tour de France 2011,
frei nach: Rainer Maria Rilke, »Das Karussell«)

Im Sonnenlicht und seinem Schatten dreht
Sich unablässig der Bestand
Von schlanken Rädern, wohldurchdacht bemannt,
So lange, bis es nicht mehr weitergeht.

Zwar sind die Körper fast schon ausgebrannt,
Doch haben alle Mut in ihren Mienen.
Ein weißer Wagen neben ihnen
Und mittendrin ein gelber Aspirant.

Sogar ein Arzt fährt mit auf dem Asphalt,
Nur dass er keinen Kittel trägt und eilig
Ampullen aussortiert wie durchgeknallt.
Dazu ein Powergel, das Kräfte spendet.

Man kennt doch immer nur das eine Ziel:
Den Tagessieg. Dafür man Blut entwendet,
Mit Epo aufgemischt. Wer weiß, wie viel?
Im Wiegetritt ein Hecheln, das nie endet,
Ein Bleu-Blanc-Rouge,
Das blendet und verschwendet
Sich an ein grenzenlos perfides Spiel.

Vincenz Keuck, Oerlinghausen

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Schöne neue Welt

(nach Novalis, »Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren«

aus »Heinrich von Ofterdingen«)

Wenn nicht mehr Maus und Tastaturen
Sind Schlüssel aller Signaturen,
Und wenn wir, wollen wir was wissen,
Nur in ein Headset sprechen müssen,

Wenn das Programm und seine Fibel
Sind wirklich nutzerkompatibel,
Und auch die Hilfe, die man rief,
Kommt schnell und kontextsensitiv,

Dann bleibt, dank kluger Algorithmen,
Viel Zeit, um sich der Kunst zu widmen.
Wo wir dann wandeln, traumverloren –
Ein Dank den Administratoren!

Und wo das »Read me« redundant,
Und selbst der Android charmant,
Da fliegt mit einem geheimen Klick
Die ganze Welt auf einen Stick.

Barbara Messing, Wuppertal

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Morgensonne

(nach Joachim Ringelnatz, »Morgenwonne«)

Quietschvergnügt bin ich erwacht,
ich streichel meine Hüften,
Hätte ich das denn gedacht,
Ich sehne mich nach Lüften.

Ein weißes Laken macht einen Diener,
Und lädt mich zum Baden ein.
Zwei blaue Schuhe, blank gewienert,
rufen mich »Steig hinein!«

Und aus meinem tiefsten Herzen zieht
Mit Wimpernschlageszittern
Ein ungeheurer Appetit
auf Lust und Nichtverbittern.

Dagma Kuncke, Waldeck

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Was dort ist
(nach Erich Fried, »Was es ist«)

Es ist Unrecht
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagen die Diebe.

Es ist ein Glück
sagt die Berechnung
Es könnte Schmerz sein
sagt die Angst

Es ist aussichtsreich
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagen die Diebe.

Es ist armselig
sagt der Funke Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht

Es ist möglich
sagt die Erfahrung
Viel ist was dort ist
sagen die Diebe

Lilli U. Kreßner, Alsfelden, Hessen

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Die Altstadt

(nach Wilhelm Müller, »Der Lindenbaum«)

Am Brunnen vor dem Tore,
Da steht ein Parkhaus jetzt:
Doch leider, als ich komme,
Ist es schon längst besetzt.

Die alte schatt’ge Linde
ist seit Jahrzehnten tot;
Die Ampel an der Stelle,
Die zeigt fast nur auf Rot.

Am Brunnen steht geschrieben,
Dass Wilhelm Müller dort
geträumt von seiner Lieben,
Doch ist der Brunnen fort.

Der steht jetzt im Museum,
Und dieses hat heut zu.
Ade, du armer Wandersmann,
Jetzt hast du endlich Ruh.

Frieder Lauxmann, Karlsruhe

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Verlorenheit

(nach Eduard Mörike, »Verborgenheit«)

Was, oh Welt, soll das denn sein?
Willst du mich zum Narren haben?
Soll ich mich an Giftmüll laben?
Das ist wirklich sehr gemein!

Was ich esse, weiß ich nicht,
Was ich auf dem Teller sehe,
Ist suspekt mir, ich gestehe.
Ein belastetes Gericht?

Manchmal mach ich’s mir bewusst,
Dass die helle Wut mich zwicket
Auf die Mafia, so mich schicket
In den Lebensmittelfrust.

Lass, oh Welt, oh lass es sein!
Sollst mich nicht mit Giftmüll laben,
Will noch ein paar Jährchen haben,
Geh dann schon von selbst bald ein!

Klaus Hettesheimer, Witten