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Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Buch und Bach
(nach J. W. v. Goethe, »Willkommen und Abschied«)

Es schlug mein Herz, geschwind zum Buche!
Ich las Gedichte in der Nacht;
Fand Silben, Reime, die ich suchte –
und deiner hab ich auch gedacht.

Du schliefst. Und Mondessternenstrahlen,
Die rasteten auf deiner Haut.
Sah deine Freude, deine Qualen,
Das Fremde und was mir vertraut.

Die Morgenröte ließ mich ruhen.
Du wecktest mich mit Radio-Bach.
Der Tag begann in unsren Schuhen.
Was ist?« – Ich sagte leise: »Ach!«

Gabriele Herbst, Magdeburg

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Der Castorpanther
(nach Rainer Maria Rilke, »Der Panther«)

DAS Blech ist von dem Strahlungsdruck der Stäbe
so mürb geworden, dass es nichts mehr hält.
Selbst wenns statt tausend nur ein Dutzend Stäbe gäbe,
die Strahlung dränge trotzdem in die Welt.

Die Kernkraft sei so sicher wie die Rente –
Politikergeschwätz, das sich im Kreise dreht.
Die Meldung von dem Leck sei eine Ente.
Und Landschaft blühe, wenn ein Kernkraftwerk drin
steht.

Nur manchmal hebt der Vorhang der Canaille
versehentlich sich an. Ein Journalist dringt ein,
kriegt morgen eine Medien-Medaille –
und übermorgen interessierts kein Schwein.

Martin Herrmann, Heidelberg

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

laras ara
(nach Ernst Jandl, »Ottos Mops«)

laras ara macht krach
lara: sacht ara sacht
laras ara planscht
lara nass: nana
laras ara lacht

lara macht lamm
lara macht salat
laras ara nascht
lara: ara lass das
laras ara: haha

lara schnappt ara
lara rast
lara macht ara kalt
lara: ach ach

Oliver von Flotow, Aurachtal, Mittelfranken

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Frühlingstag

(nach Rainer Maria Rilke, »Herb­sttag«)

HERR: es ist Zeit. Der Winter war sehr groß.
Nimm nun die Schatten von den Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Frühlingswinde los.

Befiehl den Blumen prächtig sich zu kleiden;
gib ihnen viele südlichere Tage,
bringe zum Erblühen sie und jage
den letzten Saft in Birken und in Weiden.

Wer jetzt kein Haus hat, soll sich eines bau’n.
Wer jetzt allein ist, wird’s nicht lange bleiben,
man strebt hinaus, mag keine langen Briefe schreiben,
geht frohen Schritts durch grüne Au’n –

und putzt jetzt endlich auch die Fensterscheiben.

Hans Joachim Feussner-Wurster, Vilnius, Litauen

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Das Ende vom Leid
(nach Mascha Kaleko, »Das Ende vom Lied«)

Ich schlemmte gern noch einmal wie vor Zeiten
So lustvoll leicht. – Jetzt darf ich es nicht mehr.
Ich ließe gern noch einmal mich verführn
von leckerem Gebäck, von Torten, Eis und Köstlichkeiten.

Ich hört mich gern noch einmal wieder sagen,
Ach, bitte ja! Das nehm ich auch noch mit.
Und später dann, mit neugebornem Appetit,
Nach Sahne, Cremes, kandierten Früchten fragen.

Ich würde mich so gerne wieder sehen
Vorm Fenster beim Konditor stehn, vergnügt –
Und schließlich reingehn, wenn das Wasser mir
vor Lust im Munde schier zusammenläuft.

– Das alles ist vorbei … Es ist zum Klagen!
Was kann denn nur die Schokocreme dafür?
Mein eisgekühlter, opulenter Traum?
Soll ichs trotz aller Warnung nochmals wagen?

Ich möchte wieder Schokolade essen,
Die Krümel, die man peu à peu verzehrt.
Jedoch, mir scheint, ich lass es lieber sein.
Sonst kann ich meine Schlankheitskur vergessen!

Jutta Walther, Ostfildern bei Stuttgart

 

Feuerwehrmanns Abendlied

(nach Matthias Claudius, »Abendlied«)

Block 2 ist aufgegangen.
Der Himmel, schwarz verhangen,
War früher manchmal klar.
Der Wald ist ganz verdorben,
Und ringsum wird gestorben
An heißem Nebel zundergar.

Wie ist es hier so stille,
Dem Meiler fehlt die Hülle,
Der Brennstab schmilzt dahin!
Was nützet schon das Spritzen?
Es nässt ja nur die Ritzen,
Das hat nun wirklich keinen Sinn!

Seht ihr das Kraftwerk stehen? –
Ist nur noch halb zu sehen,
Und ist doch schaurig-schön!
So gibt es manche Sachen,
Die wir mit Kurzsicht machen,
Dass blind wir in die Zukunft gehn.

So legt euch denn, Kollegen,
Und hofft auf Gottes Segen.
Heiß ist der Abendhauch.
Verschon’ uns, Gott! vor Strahlen,
Wenn wir auf Blei uns aalen,
Und die verseuchten Nachbarn auch!

Norbert Wolf, Liederbach, Taunus

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Die ernste Elegie
nach Rainer Maria Rilke, »Die erste Duineser Elegie«

WER, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der

Regierenden Runde? Und gesetzt selbst, es schlügen

Flammen plötzlich aus einem der Meiler: Man

sagte uns

»alles ist sicher«. Doch die Meute der Lobbys ist nichts

als des Schrecklichen Anfang, die wir bis gestern

ertrugen,

und wir wundern uns jetzt, dass wir gelassen blieben,

da sie uns benutzte. Atomkraft ist schrecklich.

Und so stehe ich auf und reihe mich ein

in die endlosen Scharen Erwachter.

Maria Sperling, Soest

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Sachliche Romanze
nach Erich Kästner

Als die Regierenden lange sich kannten
(und man darf sagen: die Bürger kannten sie gut),
kam ihnen der Wahlsieg plötzlich abhanden,
wie anderen Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
gaben Statements ab, als ob nichts sei,
eigentlich war ihnen zum Heulen,
aber die Presse war noch dabei.

Vom Fenster aus konnte man Kühltürmen winken.
Die Energie-Lobby war weg schon seit Viertel nach vier.
Am liebsten würden sie sich betrinken,
jedoch die Geier vom Fernsehen waren immer noch hier.

In der Parteizentrale am Ort
rührten sie in den Tassen.
Am Morgen saßen sie immer noch dort,
auch die Wahlstrategen sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.

Walter Holl, Holzschwang

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

„Frühlingsglaube“ –  Japan 2011

Die giftgen Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Verseuchen an allen Enden.
O tückisch Duft, fataler Klang!
Nun, armes Herze, wird dir bang!
Nun wird sich alles, alles wenden.

Die Welt wird öder mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Strahlen will nicht enden.
Es strahlt das fernste, tiefste Tal:
Nun, armes Herz, beginnt die Qual!
Wer kann das alles, alles wenden?

Hans-Otto Kaufmann, nach Ludwig Uhland „Frühlingsglaube“

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Ein Märchen aus neuerer Zeit

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Dass ich so traurig bin;
Das Märchen von sich’rer Atomkraft,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Fukushima steht still und es dunkelt,
Und die Wolke ziehet dahin.
Und hat in ihrem Innern
So manche Strahlung darin.

Die liebe Frau Merkel sitzet
Im Kanzleramt wunderbar;
Die Nachricht hat sie erhitzet,
Greift sorgenvoll sich ins Haar.

Sie wendet sich zu ihrem Volke
Mit neuer Litanei;                                                                                                                          
Will alles überprüfen,
Denkt nur an die Wahlen dabei.

Freund Mappus bei uns hier im Süden
Ergreift es mit wildem Weh;
Vor kurzem den Sieg noch vor Augen,
Schmilzt dieser wie Frühlingsschnee.

Ich glaube am Ende verschlingen
Der Wutbürger Sorgen den Mann;
Und dann bricht bei uns im Süden
Ein neues Zeitalter an.

Walter Erb, Eppelheim, frei nach Heinrich Heine „Die Lorelei“