Aus der gemeinsamen Heimat an der Mosel haben mein Mann und ich das niedliche Wort Spinnchen ins Sauerland mitgebracht. Hier verwenden unsere Kinder es ganz selbstverständlich als Bezeichnung für den begehbaren Vorratsschrank neben der Küche. Bei Freunden sorgen Sie dann aber eher für Verwunderung, wenn Sie die Suche nach ein paar Süßigkeiten mit den Worten ankündigen: »Ich guck mal im Spinnchen.« Nach meiner Vermutung ist das Spinnchen mit dem Spind (kleiner Schrank) verwandt. Der sperrige Begriff Vorratskammer ist uns dafür nie in den Sinn gekommen.
In der sowjetisch besetzten Zone gab es auf Lebensmittelkarten wie in allen anderen Besatzungszonen auch Abschnitte für Fett und Wurst. Aber die Zuteilungen waren mager, unregelmäßig und besonders im Hungerwinter eine Rarität. Aber wenn es Wurst gab, in den meisten Fällen handelte es sich um Dauerwurst, eine Art Plockwurst, war das für uns Kinder wie eine Feier.
Auf das abgeschnittene Brot wurde eine kleine Scheibe Wurst gelegt, ganz an den Anfang der Scheibe. Wir führten das Brot zum Mund, schoben mit den Lippen die Wurstscheibe ein Stück weiter, genossen den seltenen, würzigen Duft, bissen dann vom Brot ab, langsam und zögerlich, um so lange wie möglich im Wurstduft zu schwelgen, bis das Ende der Scheibe erreicht war. In die Wurst zu beißen, war dann der Kaiserbissen. Gab es Schiebewurst, war immer ein Festtag, deshalb gehört der Begriff bis heute zu meinem Wortschatz.
Wenn meine Mutter, die viel und gerne kocht, ein Küchenmesser in die Hände bekommt, das schlecht schneidet und ihr die Arbeit erschwert, protestiert sie, seit ich denken kann, mit den Worten: »Mit diesem Messer kann ich ja nach Paris reiten!«
Zu Besuch bei uns verschanzt sie sich auf Bitten meiner Tochter zum geheimen Keksebacken in der Küche. Plötzlich höre ich eine Reklamation bis in den Flur schallen: »Mit diesem Messer kann ich ja nach Paris reiten!«
Meine Familie stammt aus dem Ruhrgebiet. Deswegen nenne ich ein kleines Allzweck-Küchenmesser Hümmelchen, wie es auch meine Eltern und Großeltern tun. Ich benutze dieses Wort sehr gerne, weil es für mich in der Küche ein Stück Heimat bedeutet.
Bei Freunden sorgt der Begriff aber immer wieder für verständnislose Blicke, weil man zu einem solchen Messer hier in Hessen nämlich Kneipchen sagt.
Ein besonders witziges Wort ist für mich Schwippschwager. Es wird ziemlich selten gebraucht, die meisten Leute verwenden nur das Wort »Schwager«. Mit der Vorsilbe »Schwipp-« aber wird das Verwandtschaftsverhältnis genauer beschrieben. Mein Schwager ist der Mann meiner Schwester, für meinen Mann aber ist er der Schwippschwager. Das finde ich ziemlich witzig, aber auch ein bisschen bürokratisch, denn ein Schwippschwager ist eben »nur« ein Angeheirateter, sozusagen ein Zufallsverwandter. Doch egal, ob mit oder ohne Schwipp: Hauptsache, die Schwäger und Schwägerinnen verstehen sich! Und das vielleicht notwendige Schwipp macht es nur noch lustiger.
In der frühen Kindheit war mein absoluter Lieblingsplatz das Kanapee in der Wohnküche meines Elternhauses. Während meine Mutter nach dem Essen den Abwasch (von Hand) erledigte, hielt ich bei den vertrauten Geräuschen meinen Mittagsschlaf auf dem gemütlichen, mit grünem Rips bezogenen Möbelstück. Wir Geschwister machten uns die begehrten Plätze auf dem Kanapee streitig. Dass Küchen heute meist zu klein sind für Kanapees, finde ich schade. Aber ich gebe gern zu: Moderne, lautlos arbeitende Geschirrspülautomaten und Babyphones, mit denen man den Schlaf der Kleinen überwachen kann, sind sehr bequem.
Wenn in meiner Kindheit mal eine Schlorre hinter mir herflog, dann hatte ich meine Mutter wohl etwas geärgert. Es handelte sich dabei um einen Hausschuh, und diesen Begriff hatte sie aus ihrer Danziger Heimat mitgebracht.
Mein Beruf bringt es mit sich, dass ich am Ende eines Konzerts oft Blumengeschenke entgegennehmen darf. Dass auch ich als Mann so ein Triumphgemüse erhalte, ist heutzutage fast schon die Regel. Falls traditionsbewusste Veranstalter dennoch einen feinen Unterschied machen wollen, erhalten wir Sänger im Gegensatz zu unseren Kolleginnen eben »flüssige Blumen«. Wobei ich einen edlen Wachauer Smaragd-Riesling niemals als »Triumphgemüsesaft« bezeichnen würde!
Viel schöner als ein »Denk-Moratorium«, von dem heute gerne die Rede ist, empfinde ich die alte Formulierung aus meiner norddeutschen Heimat, perfekt natürlich nur mit dem Hannoverschen spitzen »St«: »Darüber muss ich noch mal stille werden«.
Mit etwa vier Jahren kreierte meine Tochter ein besonders schönes Wort, als sie morgens beim Anziehen meinte: »Mama, das ist mir unanbequem!« Es war nicht nur unbequem und unangenehm, es war ein viel stärkeres Gefühl, das sie mit diesem Wort ausdrücken konnte. Besonders beliebt für kratzende Wäscheschildchen, die dringend herausgeschnitten werden mussten.