In unserer Familie ziehen wir uns für die Nacht den Schlafover an. Abgeleitet vom Pullover (das »over« auch so ausgesprochen), beschreibt dieses Wort das in der Regel kuschelige und zum nächtlichen Wohlfühlen geeignete Kleidungsstück um einiges besser, als es der »Schlafanzug« könnte.
»Wie schön, dass du dich darauf besinnen kannst«, sagten meine Großeltern, wenn ich von frühen Kindheitserlebnissen berichtete. Wie viel aussagekräftiger ist dieses Verb, das tatsächlich alle Sinne mobilisiert! Der Duft frisch gekochter Himbeermarmelade, der durchdringende Ton der Sirenen, das unvergleichliche Gefühl, ein frisch geschlüpftes Küken berühren zu dürfen, und der Geschmack eines Stücks Zuckerrübe direkt vom Blech werden so aus langem Schlummer erweckt. Dagegen wirkt »erinnern« blass, fast steril.
Es gibt Momente, da gehen Männer ihrer Ehefrau lieber aus dem Weg, etwa wenn sie noch nicht fertig ist zum Ausgehen. Mein Schwiegervater, aus Sachsen stammend, machte sich dann gerne ein Gewerbchen: Er tat irgendwas Unwichtiges, um die Wartezeit nicht ganz nutzlos abzusitzen. Mein schwäbi- scher Vater besann sich in gleicher Lage aufs Rumbosseln. Auch das bestand im Rumhantieren mit Kleinigkeiten, konnte aber, mit unbestimmtem Ziel, auch beliebig ausgedehnt werden, um mal eine Weile ganz für sich zu sein.
Wenn in der Adventszeit der Himmel bei Sonnenuntergang in Abendrot getaucht ist, dann denke ich an meinen vor acht Jahren verstorbenen Vater, der mir als Kind in einer solchen Situation gesagt hat: »Jetzt backt es Christkindche Plätzchen.« (Ich stamme aus Mömbris in Bayern, nahe der hessischen Grenze.) Und wenn wir Kinder gefragt haben, was wir denn an Weihnachten bekommen, dann antwortete mein Vater, verstohlen grinsend: E silbern nixche un e golden Watteweilche: Mein Wort-Schatz. Also ein silbernes Nichtschen und ein goldenes Warteinweilchen. Ich liebe diese Erinnerung, weshalb sich auch meine beiden Töchter in der Vergangenheit schon öfter mit dieser Antwort zufriedengeben mussten.
In der Kindheit kommt es dann und wann vor, dass man gebeten wird, die Augen zu schließen. Etwa wegen eines Kartentricks oder beim Versteckspielen. Was einen dann aber oft erst recht dazu verführt, kurz zu spinksen – also einen Blick durch die fest verschlossenen Augendeckel zu riskieren. Spinksen ist ein großartiges Wort, es steht für mich für die Unbefangenheit der Jugend. Oder haben Sie schon mal einen erwachsenen Menschen spinksen sehen?
Wenn der Weihnachtstag endlich nahe rückte, trauten wir Kinder uns manchmal, ganz heimlich durch das Schlüsselloch der Feststube zu illern – um da drinnen vielleicht irgendein glitzerndes Geheimnis zu entdecken. Illern, das war der eigentlich verbotene, heimliche Blick, der konnte sich auch bei der Klassenarbeit in der Schule auf das Heft des Banknachbarn richten.
Ein Wort aus meiner Kindheit im Bergischen Land der fünfziger Jahre: Wenn es am Wochenende, zu Beginn der dunklen Jahreszeit, regnete oder stürmte, sagten die Eltern zu uns Töchtern: Heute machen wir einen Hüttenbrummer! Das bedeutete: in eine warme Decke auf dem Sofa einkuscheln, lesen, Waffeln backen und Kaffee kochen und ab und zu einen Blick nach draußen werfen auf das unwirtliche Wetter (noch ein Begriff aus dieser Zeit). Der Abschied vom Sommer fiel uns dabei nicht ganz so schwer!
Auf einer Autobahnfahrt nach Salzburg kamen wir an einer der vielen Brückenbau stellen vorbei. Zur Erläuterung für die Vorbeifahrenden stand auf einem Schild: Bauwerksertüchtigung. Was für ein schönes Wort! Die kleine Brücke steht da, und dann kommen die Arbeiter und sagen zu ihr: »Streck dich und reck dich, damit du einmal eine große Brücke wirst!« Leibesertüchtigung (vulgo Turnstunde) kannte ich. Aber dass es das auch für Bauwerke gibt: schön!
Am Telefon erzählte mir meine Mutter neulich von einer Musikveranstaltung, auf der sie gewesen war. Wie das nun mal so ist in kleinen Ortschaften, kennt man bei größeren Ereignissen meistens die Hälfte der Leute. Diese Tatsache kommentierte sie mit: »Ach, da waren viele, von hier und da und Pusemuckel.« Ich hatte dieses Wort beinahe vergessen. Es handelt sich wohl um den deutschen Namen zweier tatsächlich existierender polnischer Ortschaften, nämlich Posemuckel. Der Begriff wird als Synonym für provinzielle, kleine Ortschaften benutzt.
Im Kurpfälzer Dialekt meines Heimatortes an der Bergstraße hieß der vor dem Herbsten oft aufsteigende Frühnebel Drauwedrigger – Traubendrücker. Wenn ich vor meinen leider hochdeutsch erzogenen Enkeln solche Wörter benutze, schauen sie mich verständnislos und leicht geniert an. Dabei ist ein Ausdruck wie dieser für mich ein wahrer Schatz.