Erstes Semester in Oldenburg. Wir erkunden die Stadt, sitzen abends im Metro, lernen uns kennen – alle sind gerade erst aus allen möglichen Ecken Deutschlands hierhergezogen. Auf dem Weg zur Toilette entdecke ich eines der Hauptspielgeräte aus Jugendgruppentagen und frage bei meiner Rückkehr begeistert in die Runde: »Kommt jemand mit zum Krökeln?« Fragende Blicke. »Na, da vorn stehen Krökeltische, hat jemand Lust?« Allgemeines Stirngerunzel. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich tatsächlich nicht gewusst, dass Tischfußballspielen außerhalb der Stadtgrenzen von Hannover »kickern« genannt wird. Wir haben an diesem Abend noch diverse andere regional begrenzte Wörter gefunden. Und irgendwann sind wir auch zum Krökeln gegangen.
Es war in meiner Kindheit, in den sechziger Jahren. Unser Nachbar hatte ein neues Auto gekauft. Welches Auto der Nachbar denn erworben habe, wollte mein Vater abends von der Mutter wissen. Sie antwortete: »Das kann ich dir nicht genau sagen. Irgend so einen kleinen Fuckepüster.« Schon hatte mein Vater eine ungefähre Vorstellung von der Neuerwerbung. Ein »Fuckepüster« ist ein Fahrzeug, das nicht mit Schönheit oder Geschwindigkeit aufwarten kann, dafür aber umso mehr Lärm und Abgase produziert. Meine Mutter, inzwischen 85 Jahre alt, benutzt das Wort bis heute.
Als mein Jüngster etwa drei Jahre alt war, experimentierte er gern mit der deutschen Sprache. Und erschuf den Tingeling. Dürfte ich nur ein Wort im Duden austauschen, so würde ich mit diesem Begriff den »Schmetterling« ersetzen, denn der war gemeint. Aber wie viel mehr tingelt doch dieser kleine Frühlingsbote durch die Lüfte, als dass er schmettert!
Letzte Woche holte ich meine Tochter vom Posaunenunterricht ab und schaute beiläufig auf ein Plakat: »Männerflohmarkt« stand da, »für alles, was Männer mögen, also keine Dekoartikel und Stehrümchen.« Was für ein treffender, bildlicher Ausdruck für all das, was ich bisher »Staubfänger«, »Nippes« oder »Dinge, die die Welt nicht braucht« genannt habe. Da konnte ich über das antiquierte Geschlechterklischee des Aushangs hinwegsehen.
Als Kinder schlugen wir ständig und überall Purzelbäume: ein Baum, der purzelt und wieder aufsteht. Purzeln und aufbäumen, purzeln und aufbäumen. Dagegen ist doch das Synonym »Rolle vorwärts« ein jede Freude tötender Begriff. Oder?
Leichtsinn – welch ein Funkeln, welche Verlockung! Hat Leichtsinn mit »leicht sein« zu tun oder damit, dass Leichtigkeit Sinn macht? Auf der Suche nach den Wurzeln entdecke ich, dass es zu weniger kopflastigen Zeiten die »Leichtsinnigkeit« gab, womit man eine leichte und unbekümmerte Lebensweise bezeichnete. Erst mit der Aufklärung kam der moralische Zeigefinger und warnte vor einem Leichtsinn als Unüberlegtheit. Vielleicht brauchen wir den Leichtsinn in allen Bedeutungen: ein geringeres Gewicht in scheinbar wichtigen Dingen, Experimentierfreudigkeit, Neugier und Spontaneität!
Wie das Wort flugs schon beim Hören an mir vorbeisaust, so geht mir das, was ich flugs mache, leicht von der Hand. Unkraut jäten etwa: Ich schlendere zur Gartenbank, um dem Müßiggang zu frönen, aber zwischendurch zupfe ich flugs noch vier, fünf kleine Kräutersprösslinge aus der Erde unterm Rosenbusch. Viele Male flugs gezupft, und das Jäten ist keine Arbeit mehr! Nebenbei freut sich die Familie, dass von ihr keiner ranmuss. Na ja: Manchmal wird aus »flugs« auch eine Stunde oder mehr. Dann nämlich, wenn die Zeit wie im Flug vergeht.
»Du siehst aber Klaterig aus«, sagte man bei uns in Niedersachsen, wenn jemand abgespannt und abgearbeitet war und sein Gesicht Zeugnis davon ablegte. Richtig echt wirkt das Wort aber nur mit dem dunkel gefärbten Vokal, wie man ihn im Hildesheimer Land verwendet: »klootrig«. Dieser Ausdruck ist mir in Mainz und Rheinhessen nie wieder begegnet, es sei denn bei den versprengten Nordlichtern, die einander auch an manch anderen mundartlichen Einsprengseln erkennen.
Kennen Sie das? Da gebraucht man im trauten Familienkreis ein Wort, und über Jahrzehnte gibt es keinerlei Verständnisprobleme. Und irgendwann merkt man, außerhalb der Familie kennt kein Mensch diesen Begriff! So erging es mir mit dem Werkzeug, das man zum Entfernen der Kronenkorken verwendet: Flaschenöffner? Kapselheber? – Nein! Bei uns – und offenbar nur bei uns – heißt das Gerät seit eh und je Opensieder.
Eine Freundin aus München hat meinen Wortschatz bereichert, und zwar durch den Begriff Einmerker (oder, noch sympathischer, Einmerkerl). Es handelt sich um ein bayerisches Synonym für das steife hochdeutsche Wort Lesezeichen, neudeutsch inzwischen auch Memo oder Postit genannt.