Auch in einem Matschwinter wie diesem stapfe ich als olle Norddeutsche durch Wiesen, Wald und Treckerspuren. Dazu muss ich aber meine Klütenpeddler anziehen – und am Ende halbstundenlang das Sohlenprofil mit Zweiglein frei kratzen!
Das Verb verschlimmbessern gefällt mir besonders gut, weil seine beiden Bestandteile in ihrer konträren Bedeutung eine Handlung genauso plastisch darstellen, wie es Loriot mit dem Sketch Das Bild hängt schief in großartiger Weise geschafft hat.
Durch unsere neue Französischkollegin wurde ich auf ein Wort aufmerksam, welches mir lange nicht begegnet war. Auf die Frage im Vorstellungsgespräch, wie sie sich bei Unruhe in einer Klasse verhalten würde, antwortete sie, es gebe im Deutschen doch die schöne Aufforderung gemach! Magali ist Französin, und es war wunderbar, gerade von ihr diesen Ratschlag zu hören, den wir in unserem hektischen Alltag sicher öfter befolgen sollten. Man kann sich das Wort gemächlich und gemütlich auf der Zunge zergehen lassen und fühlt sich gleich ruhiger. Vor allem das »m« klingt weich und fließend. Und so bezog sich das Substantiv Gemach ja zunächst auch auf einen behaglichen, bequemen Raum, in dem man in Muße dem Müßiggang frönen konnte.
Bei Theodor Fontane, den ich gerne immer wieder lese, habe ich vor langer Zeit und immer wieder das schöne, aber nicht mehr gebräuchliche Wort Ridikül eigentlich recht häufig gefunden. Es ist so fremd für uns, klingt aber so hübsch! Ich habe es in meinen eigenen Wortschatz bisher nicht aufgenommen, weil ich wohl mit etwas Unverständnis rechnen müsste, habe mich aber gefreut, jetzt in einem Kreuzworträtsel dieses Wort als Lösung für die Frage nach dem veralteten Wort für »lächerlich« gefunden zu haben.
Ein Wort, das ich tatsächlich hüte wie einen Schatz, ist Muschdr, schwäbisch für Muster. Meine Oma verwendete es als Kosenamen für mich und meine Schwester, seit ich denken kann. Ich kenne sonst niemanden, der den Begriff auf diese Weise gebraucht. Seit ein paar Jahren sagt sie es nicht mehr. Vielleicht hat sie das Wort wie auch andere Dinge vergessen. Oder ich bin jetzt zu groß für dieses verbale Streicheln. Trotzdem klingt immer wieder in meinem Kopf nach, wie sie es trocken und gleichzeitig liebevoll ausspricht.
Ich habe noch niemanden gefunden, dem ich den Schatz weitergeben möchte. Ich werde ihn wohl für meine Enkelkinder aufbewahren.
Andrea Sigg, Winterstettendorf, Baden-Württemberg
Das Wort Schulmeister zeigt einen entscheidenden Wandel unserer Bildungskultur. Früher war der Schulmeister oft die einzige Lehrkraft einer einklassigen Dorfschule. Er unterrichtete alles von Religion über Lesen und Schreiben bis Rechnen. Ich erinnere mich noch gut an Paukstunden, in denen wir gebetsmühlenartig leierten: »Seechs mal seechs ist seechsunddreißig…« Manchem mag auch das Lied im Gedächtnis geblieben sein, das auf die lange Zeit unzureichende Bezahlung der Lehrkräfte hinwies: »Was er nicht isst, das packt er ein, das arme Dorfschulmeisterlein«. Inzwischen haben sich Didaktik wie auch Bezahlung verbessert, und wenn heute jemand von »schulmeisterlichem Verhalten« spricht, dann handelt es sich in der Regel um eine unerwünschte Belehrung.
Eine Zeit lang habe ich selbst geprägte Wörter verschenkt, aber zu viele davon blieben liegen, wenn man sich trennte. Wahrscheinlich missfiel die Präzisierung. Hier nun eine meiner ältesten Schöpfungen für Ihren Wortschatz: Statt das abgenutzte Wort »Gutmensch« oder gar »Moralapostel« für Menschen zu verwenden, die anderen durch ihre moralische Vorbildlichkeit auf die Nerven gehen, spreche ich in diesem Zusammenhang gern von Humanitätern.
Neulich sagte eine Freundin über die Geburtsvorbereitungen eines gemeinsamen Bekannten »Der hat wieder ein Gewese gemacht!« Ein Gewese? Im Internet fand ich folgende Erklärung: »Das umgangssprachliche, oft abwertend gebrauchte Wort bezeichnet ein auffallendes Verhalten oder Gebaren und bedeutet, einer Person oder Sache übertrieben große Bedeutung beizumessen.« Stimmt, sie hatte es getroffen!
Mein Wort-Schatz ist mir in einem Hörbuch von Siri Hustvedt begegnet, der Begriff lautet: Hirnscherben. In der Geschichte geht es um eine Frau, die von einem Schicksalsschlag aus der Bahn geworfen wird. Rückblickend beschreibt sie das Durcheinander in ihrem Kopf, die unsortierten Gedanken mit just diesem Begriff »Hirnscherben«. Ein treffendes, ein in den Ohren klirrendes Wort, wie ich finde, für die bedrückende Empfindung, keinen klaren Gedanken fassen zu können.
Es steht jedoch auch für viele fragile Gedanken, Bilder und Worte, die es wieder zusammenzusetzen gilt. Und vielleicht trauen wir uns sogar und fegen in der einen oder anderen Situation die Scherben einfach weg und machen den Weg frei für etwas Neues.
Immer wieder höre ich ältere Menschen darüber jammern, dass früher alles besser gewesen sei. Diese Vergangenheitsbeseelten leben häufig im Saft der Erinnerungen. Man möchte ihnen zurufen: Nutzt die Energie für das »Heute« und wehrt euch gegen Unrecht!