Liebe Mama!
Ich bin mit meinem Frühjahrsputz fertig! Lass dich nicht täuschen, das Ausrufezeichen verrät nur meinen Euphemismus. Es wird keine gute Hausfrau aus mir, obwohl Familienmanagerin so ein vortrefflicher Semi-Anglizismus ist. Wie alle bedauernswert Berufenen musste ich ja doch zum Künstler werden!
Aber die Schriftstellerei wird mich ebenso wenig systemimmanent machen wie Heroinsüchtige, Hartz-IV-Empfänger und Frauen, deren Körpergewicht ihrer Größe entspricht. Warum nur tobte Deutschland an mir seine debile Neigung aus, Dichter und Denker zu erzeugen? Wieso konnte mich mein Vater nicht vor Schusterjungen und Hurenkindern beschützen? Weshalb hat mir die Kirche den Beelzebub der Metaphysik nicht ausgetrieben? Und dann erteilte mir der Faust auch noch zu viele Schläge auf den Hinterkopf!
Doch eben erinnerte ich mich: Du warst es doch, die mir schonungslos ehrlich sagte, dass Hausarbeit dir sinnlos und langweilig vorkommt! Und dass dein Beruf dir viel mehr Spaß macht, als die uns genetisch vorbestimmte Aufgabe des Herdheimchens! Wie konntest du nur? Nur deshalb zieht es mich unheilvoll an Tasten und Moleskine!
Nur darum wurde ich süchtig nach Fantasmen und Idealen, will mich wollüstig in Worten wälzen und mit Anaphern Unzucht treiben! Das ist der Grund warum Metaphern Spalier stehen auf meinem Leidensweg des Sagenmüssens! Schlimmer noch packt mich meine Vers-Maßlosigkeit und durchschüttelreimt mich, bis mir Haus- und Brutpflege vergeht! UND DU BIST SCHULD, Mama!
Du hast es ja nicht anders gewollt. Ich übrigens auch nicht.
Schöne Grüße und viel Spaß beim Nichtmehrputzenmüssen
Deine zutiefst dankbare Tochter Anja!
Anja Thieme, Jüchen