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Was mein Leben reicher macht

Den Glauben ans Theater hatte ich verloren. Nichts gefiel mir mehr. Nur meiner hier studierenden Enkelin zuliebe ging ich nach zehn Jahren wieder ins Staatsschauspiel in Dresden; sie forderte kess den alten Mann heraus: »Du musst doch wach bleiben, Opa!« Der Chefdramaturg hält vor dem Beginn eine Einführung zu Kleists Käthchen von Heilbronn. Und reißt mich mit seinem Vortrag unerwartet hinfort. Noch bevor das Theater losgeht, weiß ich es wieder: warum ich diese Kunstform liebe! Welche Verve, welche Liebe zur Literatur strahlt der junge Mann aus! Warum nur war ich so verstockt und habe mich so lang dem Theater verweigert? Unbegreiflich. Die Vorstellung ist modern und wunderbar, und beim guten Rotwein nach dem Theater schaue ich stumm meine Enkelin an: Sie ist erst 20 und weiß mehr vom Leben als ihr sturer Opa. Wie kann ich ihr nur danken? Ob sie diese Zeilen liest?

Thomas Voigt, Dresden

 

Was mein Leben reicher macht

Freitag, kurz nach 17 Uhr. Ich fahre meinen Rechner im Büro herunter, zum letzten Mal für zehn Monate: Meine Elternzeit beginnt. Ich freue mich riesig auf die Zeit mit unserer Tochter. Allerdings habe ich auch großen Respekt vor dieser Aufgabe. Wie werden die Nächte? Wie schnell kann ich ein Fläschchen zubereiten, wenn’s drauf ankommt (übermüdet, im Dunkeln, unter Dauergeschrei)? Egal, kleine Magdalena, wir werden das schon hinbekommen!

Robert Minge, Wendelstein

 

Was mein Leben reicher macht

Geburtstag feiern mit meinen Eltern, meinem Bruder und meinem Freund. Anlässlich meines 25. Geburtstags besuchte mich meine Familie in meiner Studentenbude in Innsbruck. Die Heizung funktionierte seit Tagen nicht mehr, der geschenkte Mantel in XL war vier Nummern zu groß – aber ich war das glücklichste Geburtstagskind der Welt, einfach nur weil ihr da wart!

Odile Schmidt, Innsbruck

 

Was mein Leben reicher macht

Mein Küchentisch. An ihm entstehen die wichtigen Gedanken, gelingen die richtigen Worte. Alles Vertraute ist griffbereit, die Zeitung vom Morgen, der Becher mit Tee, ein paar Stifte, Papier. Mein freier Tag – er beginnt hier, immer mit dem guten Gefühl, heute nicht zu müssen. Und was für ein Tag, wenn hinter den Bäumen gegenüber die Sonne aufgeht und bis auf meinen Tisch scheint!

Angelika Fritsche, Markdorf

 

Was mein Leben reicher macht

Dass auch in den Zeiten von iPad und Internet ein Verschlag aus alten Kisten im Mangobaum – das »Baumhaus« – unseren drei Jungs in ihrem Leben so viel bedeutet. Auch wenn wir sie mal gerüffelt haben und sie sich dorthin zurückziehen, denke ich: »Wie gut, dass es Baumhäuser gibt.«

Carsten Hernig, Neu Delhi, Indien

 

Was mein Leben reicher macht

Mein Handy klingelt mitten in der Nacht. Meine chinesische Freundin schickt mir eine SMS, mit sieben Stunden Zeitunterschied: »Wo xiang ni – ich vermisse Dich.«

Günther Schmidt, Ulm

 

Was mein Leben reicher macht

Glatte Straße durch den Wald. Plötzlich passierte es – eine Sekunde unkonzentriert –, ein Fehler, und ich landete im Straßengraben. 70 Prozent der Autofahrer hielten an und fragten, ob sie helfen könnten, darunter auch ein Paar, welches mit dem Enkelsohn zu einer Ausstellung wollte. Sie borgten mir freundlicherweise ihr Handy und fuhren weiter. Nach fünf  Minuten kamen sie noch mal zurück: Ob ich einen Kaffee benötige? Ja, gern! Von der nächsten Tankstelle holten sie dampfenden Kaffee. Den trank ich dann mit den beiden bei eisigem Regen am Straßenrand. Danke!

Solveig Buder, Dresden

 

Was mein Leben reicher macht

Mein Mann und ich leben derzeit in Griechenland. Die Berichterstattung über die Krise ist in den deutschen und griechischen Medien ständig präsent. Beim Einkaufen auf dem Markt reiche ich dem Händler eine Tüte mit Gemüse zum Wiegen. Als ich bezahlt habe, legt er eine Fenchelknolle dazu. Und erklärt mir lächelnd, das sei ein Geschenk.

Sabine Lacour-Krause, z. Zt. Athen

 

Was mein Leben reicher macht

Meine Schwester kommt mit ihren zwei Töchtern (drei und acht Jahre alt) zur halbjährlichen Vorsorgeuntersuchung in meine Zahnarztpraxis. Als mich meine große Nichte im Flur sieht, stürmt sie auf mich zu und deutet mit großen Augen auf ihren unteren Schneidezahn: »Tina, du musst heute ganz tapfer sein!« Ich frage nach, wieso. Daraufhin meint sie: »Du musst tapfer sein, weil du mir meinen wackeligen Milchzahn ziehen musst!« Gegen ein so vertrautes Team hat selbst der hartnäckigste Milchzahn keine Chance!

Tina Selbert, Würzburg