34 Jahre lang war ich Lehrer an einer Förderschule. Seit zwei Wochen bin ich Pensionär. Am letzten Schultag durfte jedes Kind etwas fragen oder einen Wunsch aussprechen. Alwin, der sich daran erinnerte, wie ich an jedem Dreikönigstag meine Kinder verkleidet hatte und mit ihnen samt Weihrauchfass und Kreide von Klasse zu Klasse gezogen war, wusste auch, dass ich künftig ehrenamtlich in einer Justizvollzugsanstalt arbeiten werde. „Wirst du die Gefangenen im Knast auch als Dreikönige verkleiden und mit ihnen von Tür zu Tür ziehen?“, fragte er. Da habe ich gespürt, wie ich feuchte Augen bekam.
Samstagmorgen, den Nacken noch steif vom Sich-über-die-Bücher-Beugen, eigentlich viel zu müde und in Gedanken schon bei der nächsten Klausur, betreten wir einen Raum, in dem, obwohl es draußen regnet, die Sonne aufgeht. Zwanzig Gesichter strahlen uns an: zwanzig Freunde beim ersten Planungstreffen für ein UN-Planspiel für 400 Schüler im nächsten Jahr. Freunde aus der ganzen Republik, verbunden durch die gemeinsame Aufgabe, die zusammen organisieren, lachen, diskutieren und sich die Nächte um die Ohren schlagen. Freunde, bei denen man sich zu Hause fühlt und die wie wir Gesellschaft gestalten wollen. Wir wissen, dass auf uns ein Jahr voller Aufgaben wartet. Aber könnten wir diese Zeit erfüllender nutzen?
Mein Sommerglück: Erstmals nach 19 Jahren wieder mit meinem inzwischen erwachsenen, 28-jährigen Sohn unterm Sternenhimmel von Ibiza Geschichten erzählen, Erinnerungen austauschen, einander zuhören, auch mal zusammen schweigen. Ein wunderschöner Vater-Sohn-Urlaub, den es – vielleicht – so nicht wieder geben wird.
Hinter mir liegen acht wunderbare Tage, in denen ich von Gargellen im Montafon nach Tirano im Veltlin gelaufen bin. Über drei Alpenpässe, durch das Davoser Land, das Oberengadin und das Puschlav. 6000 Meter hinauf und 5000 Meter hinab. Vor mir das Domleschg – ein Fleckchen Erde, das aussieht, als habe der liebe Gott es nach den
Aquarellen der alten Meister geformt. Und ich sitze da im Fenster eines alten Gasthofs und fühle die Sommerseligkeit meiner Kindheit, tauche ein in ein längst verloren geglaubtes Glück.
Der prächtigste Ort Venedigs ist die Insel Giudecca. Nirgendwo sonst leuchtet der Himmel wie Bronze und das Wasser wie Quecksilber. Und nirgendwo sonst lässt es sich so romantisch Geburtstag mit dem Freund feiern, bevor er mich nach einem abenteuerlichen Jahr Auslandsstudium wieder mit nach Deutschland nimmt: Schöner kann man ein neues gemeinsames Kapitel nicht beginnen.
Ein mit Tomatensoße verzierter Mund, der ein zartes Schmatzen von sich gibt, blaue Kulleraugen, die mich bei jedem neuen Löffel erwartungsvoll anhimmeln. Der Latz schon wieder völlig bekleckert. Das Mittagessen mit meinem zehn Monate alten Sohn ist für mich täglich ein Highlight. Wie sehr genieße ich doch meine Elternzeit!
Unsere 88-jährige Mutter ermöglichte uns in diesem Jahr einen Urlaub, indem sie für drei Wochen in ein Altenheim ging. Als ich sie abholte, erzählte sie strahlend: „Ich habe Zeit für viele Gespräche gehabt. Ich kam mir vor wie früher, als ich Gemeindeschwester war. Ich kann das noch!“
Im Fernsehen sehe ich eine Dokumentation über ein 14-jähriges Mädchen, das an Leukämie erkrankt ist. Am Anfang sagt sie einmal: „Ja, ich werde kämpfen!“ Am Ende des Films wird sie sterben. Zwei Tage bevor sie stirbt, schaut sie einmal direkt in die Kamera – und damit auch mir direkt in die Augen. Ich kämpfe mit den Tränen. Danach ist vieles anders, reicher!